Die Wetterfühligen

Biometeorologie

Sie spüren jeden Wetterumschwung in den Knochen, reagieren mit Lustlosigkeit und depressiver Stimmung? Dann zählen Sie zur Gruppe der „Wetterfühligen“. Die Biometeorologie sagt Ihnen, wie Sie Ihre Beschwerden lindern können.

Wenn im Inntal die Fernsicht steigt, verlieren viele Tiroler den Kopf: Ruhige Autofahrer werden zu Strassenrowdys, freundliche Verkäuferinnen vergreifen sich im Ton, in Schulzimmern herrscht das blanke Chaos und im Ehebett der Kopfwehfrust. Was auf Touristen wie ein kollektiver Anfall von Verwirrung wirkt, wird von den Einheimischen als „Föhnrausch“ diagnostiziert: Der warme Fallwind aus dem Süden hat wieder einmal zugeschlagen und fährt den Menschen in Herz und Hirn. Die Beschwerden reichen von seelischen Störungen wie Gereiztheit und depressiver Verstimmung über psychosomatische Erscheinungen wie Schlafstörungen und Migräne bis hin zu rein körperlichen Beschwerden wie Kreislaufstörungen, Thrombosen und Narbenschmerzen.

Aber nicht nur der Föhn macht uns zu schaffen: Tiefdruck und Hochdruck, Sonnenschein und Regenwetter, Hitzewellen und Kälteeinbrüche – alles wirkt sich direkt auf den Organismus aus. Zwei Drittel aller Österreicher fühlen sich zumindest fallweise vom Wetter negativ beeinflusst. Je nachdem, wie stark die Reaktionen ausfallen, gelten sie als „wetterreagierend“, „wetterfühlig“ oder „wetterempfindlich“.

Wetterreagierend ist im Prinzip jedes Lebewesen. Deshalb ist es auch ganz normal, wenn leichte Stimmungs- und Befindensschwankungen ohne Krankheitswert auftreten. Auch Wetterstabile unterliegen so genannten „Saisonkrankheiten“ wie Thrombosen, Embolien oder Herzinfarkten, die meteorologisch forciert werden.

Wetterfühlig ist ein Mensch, dessen vegetatives Nervensystem verstärkt auf Witterungsreize anspricht. Seine Reaktionen – die von Mattigkeit und Kopfschmerzen bis zu schweren Schlafstörungen reichen – werden als äusserst unangenehm empfunden und können den Tagesablauf nachhaltig verändern.

Wetterempfindlich kann man im Laufe des Lebens durch Krankheiten und/oder Verletzungen werden. Dabei handelt es sich zumeist um Narben-, Amputations- und so genannte Phantomschmerzen, die ein nicht mehr vorhandenes Glied betreffen, aber auch um schwere Merkstörungen oder starke Kopfschmerzen.

Rund ein Drittel aller Österreicher reagiert intensiv auf Witterungseinflüsse – immerhin mehr als zwei Millionen Menschen. Die Wetterfühligkeit wird damit zu einer der häufigsten Zivilisationskrankheiten. Doch das Wetter selbst macht nicht krank. Bestimmte Witterungslagen wirken vor allem dort unnachgiebig, wo der Betroffene bereits eine gesundheitliche Schwachstelle aufweist. Warum aber trifft es dann manche besonders stark, während andere scheinbar resistent sind?

Hinweis auf ungelöste Probleme

Die Antwort ist – aus medizinischer Sicht – recht einfach. Jeder gesunde Organismus braucht die ständige Stimulation wechselnder Witterungsreize und kann dabei seine Reaktionen so regulieren, dass er nicht unangenehm in seinem Befinden beeinträchtigt wird. Ist ein Mensch jedoch durch Anlage, Krankheit, Alter oder Zivilisationsschäden in seiner Reizbeantwortung geschwächt, kann ein Wetterumschwung zum auslösenden Faktor für negative Reaktionen werden.

Das Wetter gibt damit einen Hinweis auf die Tatsache, dass irgendwo im Körper ein ungelöstes Problem wartet. Aus diesem Grund sind bestimmte Wettervorgänge auch nicht immer mit den gleichen Krankheitsbildern gekoppelt.

Faktum ist: Je problematischer die aktuelle psycho-physische Reaktionslage eines Menschen, desto stärker wird er durch bestimmte Witterungseinflüsse irritiert. Biometeorologische Untersuchungen, die mit einem Persönlichkeitstest gekoppelt wurden, ergaben, dass labile Menschen mit pessimistischer Grundeinstellung, geringer Frustrationstoleranz und Kontaktschwierigkeiten weitaus öfter mit dem Wetter zu kämpfen haben als ihre selbstbewussten, ausgeglichenen Mitmenschen.

Frauen wetterfühliger als Männer

Wovon es nun abhängt, ob und wie man auf Wetterveränderungen reagiert, ist noch nicht hundertprozentig geklärt. Neben dem Gesundheitszustand scheinen drei weitere Faktoren einen Einfluss auf die Wetterfühligkeit auszuüben: Alter, Geschlecht und sozialer Status.

Beobachtungen bei Säuglingen haben ergeben, dass schon die Kleinsten unter dem Wetter leiden. Bei Schulkindern sind rund 20 Prozent betroffen, während der Wechseljahre leidet sogar jeder Zweite unter einschlägigen Beschwerden und bei den Senioren haben immerhin noch mehr als 30 Prozent Probleme mit dem Wetter. Über alle Altersstufen hinweg, vor allem aber während der Wechseljahre sind Frauen deutlich stärker irritierbar als Männer.

Die Einsicht, dass auch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe unser Wetterempfinden beeinflussen könnte, verdanken wir dem stark wetterfühligen Johann Wolfgang von Goethe. Während jedoch der Dichterfürst überzeugt war, dass „gerade die feinsten Köpfe am meisten an den schädlichen Wirkungen der Luft zu leiden haben“, belegen Untersuchungen, dass in Wirklichkeit die „oberen 10.000“ die wetterbedingte Überempfindlichkeit mit den „unteren 100.000“ teilen. Nur die Mittelschicht zeigt sich meteorologisch wenig beeinflussbar – ein Faktum, das zwar nachgewiesen, bislang aber nicht erklärt werden kann.

Wirksame Strategien

Während man bis vor wenigen Jahren verschiedenste Krankheitsbilder einzelnen meteorologischen Faktoren zuordnete, geht man heute davon aus, dass erst die Kombination unterschiedlicher Einflüsse (Akkordwirkung) die Intensität der Wetterwirkung ausmacht. Dazu zählen die Infrarotstrahlung bestimmter Wellenlängen ebenso wie Luftfeuchtigkeit und -bewegung, verschiedene Formen der Sonneneinstrahlung, Reizung durch Spurenelemente und Luftverschmutzung, elektrostatische Felder sowie Geruchsreizungen. Kein Wunder also, dass praktisch jeder Teil des menschlichen Organismus erreicht werden kann – von der Nase über die Haut bis zum zentralen Nervensystem.

Wer sich mit der Ausrede tröstet, das Wetter sei an allem schuld und man könne daran eben nichts ändern, macht es sich zu leicht. Mit Hilfe bestimmter Strategien kann man seine Beschwerden deutlich lindern. Individuelle Prävention. Aufzeichnungen über jahreszeitlich bedingte Erkrankungen und biometeorologische Prognosen können wesentlich zur individuellen Prävention beitragen: Wer weiss, dass sich im Frühjahr Angina, Ischias und Keuchhusten signifikant häufen, kann schon im Winter dafür sorgen, dass Mandeln, Ischias und Lunge keine „Schwachstellen“ bilden.

Wetterdienste

Auch die Wetterdienste leisten einen wichtigen Beitrag, wenn es darum geht, die negativen Folgen des Wetters in Grenzen zu halten: Die Vorhersagen können zwar die Wetterfühligkeit nicht verhindern, bieten den Betroffenen aber die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf die zu erwartenden Witterungsreize einzustellen und ihren Tagesablauf dementsprechend zu planen.

Medikamente

Medikamente haben sich dagegen als relativ unwirksam erwiesen – kein Wunder, reagiert doch der eine mit Unruhe und Nervosität, der andere mit Müdigkeit und Apathie, der dritte wiederum mit Schlafstörungen und Konzentrationsmangel.

Klimakammertherapie

Als einigermassen wirksam gilt hingegen die Klimakammertherapie für jene Gruppe der Wetterfühligen, die unter einem gestörten Thermoregulationszentrum leiden, mit Temperaturschwankungen also nur schlecht umgehen können. In jedem Fall sollten aber auch diese Menschen unnötige Reizsituationen vermeiden, ihre gesundheitliche Situation möglichst stabilisieren und psychische Belastungsfaktoren eliminieren.

Dass bei einem solchen Massnahmenkatalog keine sofortige Besserung eintreten kann, versteht sich von selbst. Gelingt es Ihnen allerdings, die Regeln über einen längeren Zeitraum hinweg einzuhalten, können Sie Wind und Wetter in Zukunft relativ gelassen entgegensehen.

Sieben Tipps für Wetterfühlige

1. Sanieren Sie Ihre Schwachstellen Sorgen Sie durch regelmässige Arztbesuche dafür, dass keine „Herde“ in Ihrem Körper vorhanden sind, z. B. in den Zähnen oder Nasennebenhöhlen. Vor allem wetterbedingte Kopfschmerzen lassen sich auf diese Weise gut eliminieren.
2. Vermeiden Sie Genussmittel Auch wenn Ihnen Alkohol, Nikotin und Koffein kurzfristig eine Erleichterung verschaffen, belasten sie doch auf Dauer den Organismus. Eine ganze Reihe von Symptomen – Konzentrationsstörung, Vergesslichkeit, Müdigkeit, Nervosität, Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen etc. – sind auf meteorogene Auslöser zurückzuführen.
3. Achten Sie auf Ihre Ernährung Ob sich mit gesunder Vollwertnahrung die Wetterfühligkeit verringern lässt, ist zwar nicht nachgewiesen. Eines steht allerdings fest: Unter den Wetterfühligen beiderlei Geschlechts gibt es eine signifikant höhere Zahl an Übergewichtigen als unter den Wetterstabilen.
4. Halten Sie sich fit. Die regelmässige körperliche Betätigung kommt Wetterfühligen zugute. Besonders bei älteren Menschen, die an degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule leiden und jeden Wetterumschwung in den Knochen spüren, ist regelmässiges Training (z. B. Schwimmen) unerlässlich. Bei allen anderen dient die tägliche Bewegung der Prophylaxe. Daneben können auch Sauna, Massage, Gymnastik, Moor- und Thermalbäder, Kneippsche Güsse und Wechselduschen, aber auch autogenes Training oder Yoga die Reizschwellen gegen Witterungseinflüsse heben.
5. Lösen Sie innere Spannungen. Angstzustände, Nervosität, depressive Verstimmung, Kopfschmerzen, Appetitmangel oder Schlafstörungen sind typische Symptome, die durch Spannungen innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz provoziert und meteorologisch verstärkt werden können. Hier kann eine Gesprächstherapie (allein oder mit Partner) helfen. Viele meteorogene Beschwerden sind auch Stresssymptome. Wird die Situation entlastet (z. B. durch geeignete Entspannungstechniken), reduzieren sich auch die „Wetterreaktionen“.
6. Planen Sie Ihren Urlaub richtig. Vergessen Sie den sonnigen Süden, wenn der klimatische Stress die wertvollsten Wochen des Jahres zur Belastung macht. Vor allem Kinder und Senioren leiden unter einem abrupten Temperaturwechsel und sollten bei Bedarf lieber ins Gebirge oder in den Norden ausweichen. Wenn Sie im Urlaub aktiv gegen Ihre Wetterfühligkeit vorgehen wollen, empfiehlt sich eine Klimaschaukeltherapie (z. B. Bergwandern und Meeraufenthalt) oder ein Kuraufenthalt in einem heilklimatischen Ort.
7. Nutzen Sie die Bioprognose Stellen Sie sich rechtzeitig auf Wetterveränderungen ein, indem Sie die Möglichkeiten der biometeorologischen Prognose, kurz „Bioprog“ genannt, nützen. Alle grossen Tageszeitungen bieten einen täglichen Wetterbericht mit Vorausschau auf den nächsten Tag

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