Mehr Lebendspenden, bessere Immunsuppression und Verpflanzung mehrerer Organe

Die Zahl der Organspenden hat in der ersten Hälfte dieses Jahres seit Iangem erstmals wieder zugenommen. Dennoch übersteigt der Bedarf an Organen das Angebot bei weitem. Was Niere und Leber betrifft, setzen die Transplantationsmediziner deshalb mehr denn je auf die Lebendspende. Doch das erfordert sowohl ein hohes Mass an ethischer Verantwortung als auch grosse chirurgische Erfahrung. Diese Art der Organverpflanzung ist für den Spender mit Risiken verbunden. Das gilt besonders bei der Entnahme der Leber.

Angesichts der Knappheit der Organe geht es, wie in der vergangenen Woche auf dem Deutschen Transplantationskongress in Münster deutlich wurde, verstärkt darum, die Funktion der verpflanzten Organe möglichst lange zu gewährleisten. Voraussetzung dafür ist ein individuelles Vorgehen bei der Immunsuppression, die immunologischen Abstossungsreaktionen vorbeugt oder diese, falls erforderlich, unterdrückt Derzeit wird, wie G. Kirste vom Universitätsklinikum Freiburg berichtete, eine Vielzahl immunsuppressiver Strategien angewandt, die meist den Zustand der Patienten nicht berücksichtigen. Bei der Planung einer individuellen immunsuppressiven Therapie müsste beispielsweise stärker auf bereits vorhandene Erkrankungen, etwa Diabetes, Osteoporose, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen, sowie den immunolögischen Status geachtet werden. Allerdings ist es nicht leicht, die jeweils beste Kombination zu ermitteln.
Die Immunsuppression befindet sich im Umbruch. Lange standen nur einige wenige Präparate – Steroide und Antimetaboliten wie das Azathioprin – zur Verfügung. In den siebziger Jahren brachte das Cyclosporin eine Wende, weil es gezielter die für die Abwehrreaktionen verantwortlichen T-Lymphozyten auszuschalten vermochte. Allerdings schädigt das zu den Calcineurin-Inhibitoren gehörende Cyclosporin ebenso wie das später hinzugekommene Tacrolimus die Nieren. In den vergangenen Jahren erweiterte sich das Spektrum um Mykophenolat Motefil (MMF), Sirolimus, Rapamycin, Everolimus sowie zuletzt um monoklonale Antikörper, etwa Basiliximab und Daclizumab. All diese Substanzen greifen an unterschiedlichen Stellen in die Signalkette ein, die an der Aktivierung der T-Lymphozyten. beteiligt ist. Da meist mehrere Mittel gleichzeitig verwendet werden müssen, sind inzwischen zahlreiche Kombinationen erprobt worden. Sie sind alle mehr oder weniger erfolgreich, ohne dass man wüsste, welche Variationen hinsichtlich Nutzen und Nebenwirkungen am günstigsten sind.

Zunächst geht es vor allem darum, möglichst ohne die besonders toxischen Calcineurin-Hemmer auszukommen. Diese Mittel schädigen zusammen mit anderen Faktoren nicht nur transplantierte Nieren, sondern – bei Patienten, die andere Organe wie Leber oder Herz erhielten – auch deren zuvor funktionstüchtige Nieren. Bei rund sieben bis 21 Prozent dieser Patienten kommt es innerhalb von fünf Jahren zum chronischen Nierenversagen, was eine Blutwäsche oder Nierentransplantation erfordert. So wurde auch in Münster von einer ganzen Reihe deutscher Arbeitsgruppen über die Erprobung neuer Kombinationen berichtet, die auf CalcineurinHemmer verzichten.

Über beeindruckende Ergebnisse mit dem monoklonalen Antikörper Campath 1H bei der Nierentransplantation und der kombinierten Transplantation von Niere und Bauchspeicheldrüse berichtete H. W. Sollinger von der University of Wisconsin in Madison. Campath 1H hat sich bereits bei der Behandlung von Leukämien bewährt, da es in kurzer Zeit aktive T-Zellen auszurotten vermag. Sollinger hat nun an einer grösseren Gruppe von Patienten beobachtet, dass die ein oder zweimalige Injektion von Campath 1H sowie die anschliessende Behandlung mit Rapamycin die von T-Zellen bewirkten Abstossungsreaktionen derart unterdrückt, dass geradezu von einer Toleranz gesprochen werden kann.
Bei einigen Patienten kam es zwar zu Abstossungsreaktionen. Diese wurden aber durch im Blut zirkulierende, bereits vor der Transplantation vorhandene Antikörper verursacht. Bislang wurden keine Anzeichen einer chronischen Abstossung beobachtet. Die Nebenwirkungen der Behandlung sind gering. Virale Infektionen und chirurgische Komplikationen treten nicht häufiger auf als sonst üblich. Wie Sollinger sagte, hat diese Form der Immunsuppression auch erhebliche ökonomische Vorteile, da die Anwendung der Antikörper billiger und einfacher ist als die Anwendung der herkömmlichen Antilymphozyten-Präparate.

Die Fortschritte der Immunsuppression rechtfertigen es zunehmend, mehrere Organe gleichzeitig zu verpflanzen.

R. Margreiter von der Universität Innsbruck berichtete über die kombinierte Nieren-LeberTransplantation. Auf solche Eingriffe sind Patienten mit erblichen Leiden angewiesen, die beide Organe betreffen, oder Kranke, bei denen nach und nach beide Organe versagen. Häufig sind Patienten betroffen, die bereits mit der künstlichen Niere behandelt werden. Die Überlebensrate bei Doppeltransplantation entspricht nach acht Jahren derjenigen des getrennten Vorgehens. Offensichtlich schirmt die Leber die Niere immunologisch ab.
Angesichts der beachtlichen Langzeitergebnisse plädierte Margreiter dafür, Leber und Niere häufiger gleichzeitig zu übertragen. Routinemässig werden bereits häufiger Niere und Bauchspeicheldrüse gleichzeitig verpflanzt. W. 0. Bechstein, der jetzt die Klinik für Allgemein- und Gefässchirurgie der Universität Frankfurt leitet, hat in Bochum im Jahr 2000 mit einer Serie solcher Eingriffe begonnen. Wie er kürzlich berichtete, wurden eine Bauchspeicheldrüse und eine Niere abgestossen. Drei Patienten starben. Diese Form der Transplantation bietet nierenkranken Diabetikern nicht nur Überlebensvorteile. Vielmehr vermag sie auch die charakteristischen Folgeerkrankungen, etwa an den Nerven, zu bessern.

Über eine eher selten vorgenommene Mehrfachtransplantation berichtete T. Kato von der University of Florida in Miami. Er ist Experte für die sogenannte multiviszerale Transplantation, bei der Magen, Bauchspeicheldrüse, Leber und Dünndarm auf einmal übertragen werden. In Miami verfügt man über besondere Erfahrungen mit diesem Eingriff, da er dort weitaus häufiger vorgenommen wird als anderswo. Bei den Patienten handelt es sich überwiegend um Säuglinge mit schwersten angeborenen Störungen. Die Kinder wiegen zwischen fünf und zehn Kilogramm. Wie Kato sagte, hat die Übertragung des Organclusters bei Kindern erhebliche Vorteile. Die feinen Gefässstrukturen, etwa an der Bauchspeicheldrüse, würden bei herkömmlichem Vorgehen viel zu stark beschädigt. Die Kinder tolerieren seinen Angaben zufolge die Behandlung erstaunlich gut. Ein Kind lebt bereits seit acht Jahren mit dem Clustertransplantat und befindet sich in gutem Gesundheitszustand.

[@uelle FAZ / RAINER FLÖHL]