Was ist Alpha-1-Antitrypsinmangel

Alpha-1-Antitrypsin (AAT) gehört zur Gruppe der Serin-Protease-Inhibitoren (Serpine) und ist der Protease-Inhibitor (Pi) mit der höchsten Plasmakonzentration. Es inhibiert das eiweissabbauende Enzym Trypsin sowie die von neutrophilen Granulozyten gebildete Elastase und schützt so Gewebestrukturen vor der Schädigung durch abbauende Enzyme. AAT wird in den Hepatozyten der Leber produziert und von dort an das Blut abgegeben. Da zwischen den Proteasen und ihren Inhibitoren ein fein geregeltes Gleichgewicht besteht, kann es bei einem AAT-Mangel zu Proteasebedingten Gewebsschäden kommen. Insbesondere in der Lunge, die eine hohe Gewebekonzentration an neutrophiler Elastase (NE) aufweist, kann es bei AAT-Mangel zur Zerstörung der Alveolaren und damit zur Bildung eines Lungenemphysems kommen. Darunter versteht man eine irreversible Aufweitung der Lufträume durch Zerstörung der Wände der betroffenen Alveolen. Das panlobuläre Emphysem (z.B. beim Alpha-1-Antitrypsinmangel) betrifft die gesamte Lunge und damit alle Alveolen der Azini vom Bronchus terminalis (TB) ab (Abb.1). Beim zentrilobulären Emphysem (chronische Bronchitis, Raucheremphysem) sind nur die proximalen Alveolen, die aus den Bronchioli respiratorii (RB) knospen, betroffen, die distalen Alveolen aber nicht.

Alpha-1-Proteinaseninhibitor-Mangel führt zu irreversibler Schädigung der Lunge.
Husten, Luftnot unter körperlicher Belastung, Leistungsverlust und häufige bronchopulmonale Infekte – diese unspezifischen Symptome lassen vor allem bei Rauchern zunächst an eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) bei abnormer Entzündungsreaktion denken. Hauptursache dafür ist das Rauchen. Bei bis zu drei Prozent der Patienten mit COPD beruht die Symptomatik jedoch auf einer angeborenen Stoffwechselstörung, dem Alpha-;1-Proteinaseninhibitor (Pi)-Mangel.

Allgemeines / Definition:

Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist eine autosomal-rezessive Erbkrankheit. Ursache für diese Erkrankung ist ein Gendefekt auf dem Chromosom 14. Dieses Gen ist für die Synthese des Alpha-1-Antitrypsin verantwortlich. Die häufigsten krankmachenden (pathogenen) Mutationen dieses Gens in der weissen Bevölkerung werden als Z- und S-Mutationen bezeichnet. Dabei bezeichnen die beiden Buchstaben jeweils den Ort der Störung auf dem Gen. Die Z-Mutation führt dabei zum schwereren Verlauf der Erkrankung. Es sei erwähnt, dass die Erforschung des Alpha-1-Antitrypsin in ihren Grundzügen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht.

Epidemiologie:

Mit einer Inzidenz von 1:2000 ist der AAT-Mangel eine der häufigsten potentiell letal verlaufenden Erbkrankheiten in Europa.
Trotzdem ist diese Erkrankung in Europa stark unterdiagnostiziert (WHO-Bericht, Genua 1996) und im Schnitt vergehen 5-8 Jahre von den ersten klinischen Symptomen bis zur Diagnostik. 12 % aller bekannten AAT-Mangelpatienten mussten durchschnittlich 6-10 Ärzte bis zur korrekten Diagnose konsultieren. In den USA und Skandinavien werden seit Jahren umfangreiche Screeninguntersuchungen durchgeführt, um AAT-Mangel-Patienten frühzeitig identifizieren und behandeln zu können. So hatten von 200.000 schwedischen Neugeborenen 120 einen homozygoten (PiZZ) AAT-Mangel-Defekt und somit ein hohes Risiko für eine Lebererkrankung. Davon wiesen 70 % Störungen im Leberfunktionstest auf und 14 % hatten mit 8 Jahren eine schwere Leberzirrhose ausgeprägt.
In den USA leiden ca. 2,1 Mio Menschen an Lungenemphysemen, von denen ca. 60.000 durch AAT-Mangel bedingt sind. Damit weist das durch AAT-Mangel bedingte Lungenemphysem die gleiche Prävalenz auf wie die Cystische Fibrose.

Folgende weitere Symptome können auf eine Lungenerkrankung durch Alpha-1-Antitrypsin-Mangel hindeuten:
  • Kurzatmigkeit und abnehmende Ausdauer bei körperlicher Anstrengung (z.B. Sport)
  • gehäufte Fälle von Lungenerkrankungen im familiären Umfeld
  • ganzjährlich auftretende Allergien
  • Abnahme der Lungenfunktionswerte bei Nichtrauchern
  • starke Sputumbildung
  • chronischer Husten und wiederholte respiratorische Infektionen
  • chronische Bronchitis und Bronchiektasen

75 % der Erwachsenen mit schwerem AAT-Mangel entwickeln zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr ein Lungenemphysem, ca. 15 % entwickeln eine Leberzirrhose. Beide Krankheitsbilder treten aber selten zusammen auf. Seit 1995 wurden mehr als 4300 Lungentransplantationen weltweit durchgeführt, von denen ca. 30 % COPD und 12 % AAT-Mangel als Indikation hatten.

Krankheitsbilder bei Neugeborenen und im Kindesalter
  • Gelbsucht, Gelbfärbung der Augenhaut und der Haut insgesamt
  • Dunkelfärbung des Urins
  • Zurückbleiben der Gewichts- und Längenentwicklung
  • Vergrösserung von Leber und Milz
  • Wasseransammlung im Bauch (»Aszites«)
  • abnormale Blutungen (langes Nachbluten nach Verletzungen)
Krankheitsbilder bei Erwachsenen
  • Lungenemphysem
  • COPD (Chronisch Obstruktive Lungenerkrankungen)
  • Asthma (die Symptome der COPDs werden oft als Asthma fehlinterpretiert)
  • Panniculitis (Entzündung des Unterhautfettgewebes)
  • Hepatitis und Leberzirrhose
  • Leberkarzinom

Die hier aufgeführten Symptome sind klinische Zeichen einer Lebererkrankung allgemein, für die gesicherte Diagnose müssen weitere Parameter (siehe Diagnostik) untersucht werden. Der AAT-Mangel ist eine der Hauptindikation für Lebertransplantationen bei Kindern.

Häufigkeit

Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist in der Nord- und Mitteleuropäischen Bevölkerung insgesamt die häufigste Erbkrankheit.
Die Z-Variante ist bei den Nord- und Mitteleuropäern die Häufigste, während die leichtere S-Variante mehr bei den Südeuropäern vorherrscht. Die Häufigkeit der Z-Variante bei Neugeborenen liegt etwa bei 1:3.500, die der S-Variante in der gleichen Grössenordnung.

Diagnostik

Bei einem Verdacht auf AAT-Mangel wird der Gehalt des Proteins im Blut bestimmt, während parallel die Leberwerte (GOT, GPT, gGT, Bilirubin etc.) untersucht werden. Stark verminderte Konzentrationen oder das Fehlen von Alpha-1-Antitrypsin weisen auf einen homozygoten (PiZZ) Defekt hin. Bei heterozygoten Merkmalsträgern PiMZ, PiSZ) werden meist Konzentrationen im unteren Normalbereich gemessen. Da es sich beim Alpha-1-Antitrypsin um ein Akut-Phase-Protein handelt, können bei heterozygoten Trägern während Infektionen und unter Therapie mit Östrogenen oder Steroiden sogar leicht erhöhte Konzentrationen gemessen werden. Die Bestimmung des AAT-Spiegels im Blut ist daher zur Identifizierung heterozygoter Merkmalsträger ungeeignet. Erst die genetische Typisierung der AAT-Allele kann hier die Diagnose sichern. Bei allen pathologisch erniedrigten AAT-Konzentrationen sollte für eine sichere Differentialdiagnose eine molekulargenetische Analyse angefordert werden, um das Vorliegen einer genetischen Ursache abzuklären.
Eine frühzeitige Diagnostik ist ausserordentlich wichtig, um ein optimales rechtzeitiges Patientenmanagement betreiben zu können. Da insbesondere das Rauchen ein sehr grosser Risikofaktor ist, hilft eine frühe Diagnostik, um hier durch gezielte Aufklärung entgegenzuwirken.
Laut einer WHO-Studie lag die Überlebenswahrscheinlichkeit homozygoter rauchender PiZZ-Merkmalsträger (Männer) mit 55 Jahren bei nur 18 %, während sie für Nichtraucher bei 65 % lag. Diese drastische Minderung der Lebenserwartung (um ca. 10-15 Jahre) allein durch den Faktor Rauchen, zeigt die Bedeutung einer frühzeitigen Identifizierung von Risikopatienten. Daher empfiehlt die WHO die Testung aller Patienten mit COPD oder Asthma auf AAT-Mangel sowie ein Neugeborenenscreening.

Indikationen für GenoType® Alpha-1-Antitrypsin

Mit dem GenoType® Alpha-1-Antitrypsin wird auf die Anwesenheit der zwei wichtigsten für einen AAT-Mangel verantwortlichen Mutationen im menschlichen AAT-Gen getestet. Die Z-Mutation verursacht einen Aminosäure-Austausch von Glutaminsäure nach Lysin an Position 342 (PiZ), während die S-Mutation einen Austausch von Glutaminsäure nach Valin an Position 264 (PiS) des korrespondierenden AAT-Proteins bewirkt. Es sind sowohl homozygote als auch heterozygote Merkmalsträger sicher zu identifizieren und voneinander zu unterscheiden

Der Test sollte eingesetzt werden bei:
  • Adulten Patienten mit auffälligen Leberwerten, Hepatitis oder Leberzirrhose unklarer Genese
  • Patienten mit Cystischer Fibrose, zur Differentialdiagnose bei chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen, Lungenemphysemen oder Asthma
  • Patienten mit nachgewiesenem AAT-Mangel
  • Personen mit positiver Familienanamnese
  • Zur Differentialdiagnose bei Hepatitis und Leberfunktionsstörungen unklarer Genese im Säuglings- und Kleinkinderalter, bei Icterus prolongatus des Neugeborenen
Therapie

Eine kausale Therapie des genetischen Defektes ist derzeit noch nicht möglich. Bei Patienten mit Lebererkrankungen gibt es jedoch allgemeine Behandlungsverfahren, wie sie bei chronischen Lebererkrankungen eingesetzt werden:

  • Supplementierung von Vitaminpräparaten, insbesondere mit fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K, diese Vitamine werden bei Leber- und Gallenwegserkrankungen schlechter aus dem Darm aufgenommen. Die Folge eines Mangels können Sehstörungen, Nervenfunktionsstörungen, Störungen der Blutgerinnung und Knochenentkalkung sein.
  • Ursodeoxycholsäure zur Verbesserung des Gallenflusses

Für die Behandlung von Lungenemphysemen werden folgende Methoden verwendet:

  • Inhalation von Bronchodilatoren und Corticosteroiden
  • Sauerstofflangzeittherapien bei eingeschränkter Lungenfunktion
  • Erlernen von speziellen Atemübungen und Atemtechniken
  • AAT-Substitutionstherapien mit synthetisch oder rekombinant hergestelltem AAT (z.B. Prolastin); der Erfolg dieser Methode ist umstritten, bei Leberschäden sind AAT-Gaben kontraindiziert, da eine zusätzliche Akkumulation von AAT die Klinik verschlechtern würde.

– Bei dieser Therapie wird das Alpha-1-Antitrypsin auf intravenösen Weg ersetzt. Das Medikament ist unter dem Namen Prolastin von der Fa. Bayer im Handel. Als mögliche Nebenwirkungen werden genannt:

  • Allergien mit Juckreiz, Hautausschlägen, Übelkeit und akuter Atemnot
  • Schüttelfrost
  • Fieber
  • Übelkeit
  • Schwindel, Kopfschmerz
  • Blutdruckabfall
  • selten ein anaphylaktischer Schock, der eine lebensbedrohliche Situation bedeutet Prophylaxe / Letalität
  • Bei fortgeschrittenen Lungenerkrankungen bleiben nur chirurgische Massnahmen wie Lungenverkleinerung (Lungenvolumenreduktion durch Entfernung überblähter Bereiche) oder Lungentransplantation.

Sofern ein Mensch mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel unter günstigen Lebensumständen lebt, wird er nicht erkranken.
Günstig bedeutet in diesem Fall ein Leben in sauberer Atemluft und ohne die Inhalation von Fremdkörpern, wie z.B. durch Rauchen.

Weiterhin wurden Empfehlungen zu prophylaktischen Massnahmen für AAT-Mangelpatienten ausgearbeitet:
  • Patienten mit Lungenerkrankungen sollten nicht rauchen, bzw. das Rauchen einstellen, auch sollten Freunde, Familienangehörige oder Partner in Anwesenheit des Betroffenen nicht rauchen.
  • Vermeidung von Arbeit unter hoher Staubbelastung, in Räumen mit sehr schlechter Belüftung oder unter hoher Belastung und geringer Sauerstoffzufuhr.
  • Impfung gegen Influenza- und Pneumonieerreger, die die Lunge zusätzlich belasten könnten. Sofortige Behandlung von respiratorischen Infekten.
  • Vermeidung von Infektionen allgemein, da jede Infektion sich auf die Produktion der weissen Blutkörperchen in der Lunge auswirkt. Eine erhöhte Produktion von Enzymen des Immunsystems (u.a. auch neutrophile Elastase) kann zu einer zusätzlichen Belastung bei lungenkranken Patienten führen.
  • Aufstellung eines persönlichen Übungsprogramms zur Stärkung und Erhaltung der Lungenfunktion und der körperlichen Fitness unter ärztlicher Anleitung.
  • Umstellung auf eine besonders vitaminreiche und nährstoffhaltige Ernährung unter ärztlicher Anleitung.
Welche Möglichkeiten bestehen noch?

Infekte sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Insbesondere in der kalten Jahreszeit sollten Kontakte zu Menschen, die erkältet sind, und zu Menschenansammlungen gemieden werden. Grippeschutzimpfungen und Impfungen gegen Pneumokokken – die häufigsten Erreger von Lungenentzündungen – sollten erfolgen.
In den Sommermonaten sollten körperliche Anstrengungen möglichst vermieden werden. Ozon-Warnungen in den Medien beachten!
Ihre Umgebung sollten Sie über Ihre Erkrankung informieren; es muss Verständnis geweckt werden dafür, dass Sie möglicherweise in Situationen des Alltags auf Hilfe angewiesen sind. In Ihrer Umgebung sollte u.a. nicht geraucht werden.
Bei der Wahl des Berufes sollten Sie solche meiden, bei welchen Sie die Atemwege schädigende Schadstoffe einatmen können (Bäcker, Friseur, Tierpfleger u.a.). Nehmen Sie ohne Scheu die Unterstützungen in Anspruch, welche Ihnen aus der Sozialgesetzgebung zustehen. Stellen Sie ggf. einen Antrag auf Schwerbehinderung; Ihr Arzt wird Sie hierbei unterstützen. Im ausgewählten Fall wird bei schwerstem Lungenemphysem an eine Lungentransplantation zu denken sein. Schwierigkeiten stellen derzeit noch der für diesen Eingriff günstigste Zeitpunkt und leider das nicht ausreichende Aufkommen an Spenderorganen dar.
Derzeit werden jährlich etwa 500 Herzen, etwa 650 Lebern, 2.200 Nieren, aber nur etwa 100 Lungen transplantiert. Die Zahl der auf eine Organspende wartenden Menschen in unserem Land beträgt aber ein Vielfaches. Nur für die Nierenkranken gibt es mit der Hämodialyse („Blutwäsche“) oder Peritonealdialyse („Bauchwäsche“) eine Alternative, welche im Falle des Funktionsausfalls der eigenen Organe zumindest das weitere Leben ermöglicht. Für die übrigen genannten Organe sind keine anderen Alternativen gegeben als die Organtransplantation.
Es ist zu hoffen, dass die Einstellung zur Organspende sich in unseren Köpfen ändern und zunehmend positiv gesehen wird.
In Deutschland, anders als in anderen europäischen Ländern, warten zu viele Patienten auf die für das Überleben wichtige Transplantation.
Wir sollten unsere Haltung gegenüber einer Organentnahme im Falle des Todes überdenken und eine positive Haltung entwickeln: Nach dem eigenen Tod können wir durch die Organspende einem oder mehreren Mitmenschen das Weiterleben ermöglichen. Ohne diese Spende sind zahlreiche Menschen dem frühen Tod oder einem langen Leiden geweiht.
Den „Horrormeldungen“ in den Medien sollten Sie nicht trauen: In der deutschen Transplantationsmedizin wird medizinisch absolut korrekt, ethisch und menschlich gedacht und gehandelt. Eine Organspende wird erst nach Feststellung des Hirntodes in Erwägung gezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt gelten alle Anstrengungen der Diagnostik und Behandlung mit dem Ziel der Wiederherstellung der Gesundheit. Gezielte Aufklärung der Bevölkerung und das eigene Erleben, die Kontakte mit Transplantierten werden hoffentlich zu einer baldigen Änderung der Einstellung zur Organspende führen!