Ihr gilt der erste Schrei in unserem Leben.

Danach versorgt sie uns wie von allein jeden Tag mit 10 000 Litern Luft: Die Lunge. Ohne ihre stetige Bewegung halten wir es keine drei Minuten aus. Umso wichtiger, dass sie rein und gesund bleibt.

Während Sie diese Zeilen lesen, tun Sie es. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden. Sie atmen ein und aus. Mindestens 15-mal pro Minute. Geraten Sie in Panik, sind es sogar bis zu 100-mal. Dann kommen Sie ganz schön ins Keuchen.

Meist aber verrichtet die Lunge ihre Arbeit unbemerkt. Sie haucht dem Körper Leben ein. Einen halben Liter Luft mit jedem Atemzug. 10 000 Liter pro Tag. Sauerstoff ist das Lebenselixier des Menschen. Wir brauchen ihn nötiger als Wasser und Brot. Er lässt die Muskeln erstarken, das Herz schlagen und das Hirn denken. Ohne Sauerstoff tut sich im Körper nichts. Die Maschine Mensch bleibt stehen. Das Leben erlischt. «Drei Wochen können wir ohne Nahrung überleben, doch nur drei Minuten ohne Sauerstoff», sagt Otto Brändli, Lungenarzt und Präsident der Lungenliga Zürich. «Danach nimmt das Hirn Schaden, und das Herz hört auf zu schlagen.»
Schon im Mutterbauch wird der Fötus über die Nabelschnur mit Sauerstoff versorgt. Die Lungen arbeiten noch nicht. Etwa sechs Sekunden nachdem es sich aus dem Leib der Mutter gezwängt hat, schnappt das Baby zum ersten Mal nach Luft. Dieser Atemzug wird meist von einem lauten Schrei begleitet. So bringt das Neugeborene seine Atmung in Schwung.

Luft strömt durch die noch verklebten Atemwege, die beiden Lungenflügel entfalten sich wie ein zerknüllter Ballon, den man zum ersten Mal aufbläst. Die Lunge wird fortan die Sauerstoffversorgung des Körpers übernehmen. Gesteuert wird sie vom Atemzentrum des Gehirns. Es funktioniert wie ein sensibles Messgerät: Geht der Sauerstoff im Blut zur Neige, erteilt das Hirn den Befehl, Luft zu holen.

Wie die Liebe den Atem verschlägt

Intensive Gefühle lassen diesen Mechanismus aus den Fugen geraten. «Sie aktivieren andere Gebiete im Gehirn: Das Atemzentrum wird dadurch vernachlässigt», sagt Jürg Barandun, Pneumologe im Zürcher Lungen-Zentrum. «Darum atmen wir meist schneller und flacher, wenn wir uns ängstigen, gestresst oder über beide Ohren verliebt sind.»

In derlei Situationen hilft es, sich für einen Moment auf die Atmung zu konzentrieren. «Tiefes und konzentriertes Atmen kann einem angespannten Menschen das innere Gleichgewicht zurückgeben», sagt Jürg Barandun. So erstaunt es nicht, dass bewusstes Atmen bis tief in den Bauch hinein im Zentrum der meisten Entspannungs- und Meditationstechniken steht.
Erteilt das Hirn den Befehl zum Luftholen, beginnt die Atemmuskulatur zu arbeiten. Das Zwerchfell – es liegt unterhalb der beiden Lungenflügel – spannt sich an. Dadurch zieht es den Lungenrand nach unten und drückt den Bauch nach aussen. Gleichzeitig weitet sich der Brustkorb. Es entsteht ein Unterdruck, der Luft einströmen lässt. Das Gleiche passiert beim Ausatmen, jedoch in umgekehrter Richtung.

Achtzig Quadratmeter Fläche

Die Atemluft wird in der Nase und der Nasenhöhle erstmals gefiltert, erwärmt und befeuchtet. Über den Rachen gelangt sie in die etwa zwölf Zentimeter lange Luftröhre. Die teilt sich auf der Höhe des Brustbeins und geht in die Bronchien über. Diese Luftröhren verzweigen sich fortlaufend und werden immer kleiner, bis sie zuletzt nicht einmal mehr einen Durchmesser von einem halben Milli­meter haben.

Das Ganze sieht aus wie ein auf dem Kopf stehender Brokkoli. «Die kleinen Röschen entsprechen den 350 Millionen winzigen Lungenbläschen, in welche die verästelten Bronchien zuletzt münden», erklärt Lungenspezialist Jürg Barandun. Hier findet der eigentliche Gasaustausch statt. Würde man die Oberfläche dieser sogenannten Alveolen nebeneinander ausbreiten, ergäbe das eine Atmungsfläche von 80 Quadratmetern – etwa so viel wie 20 Tischtennisplatten.
Über diese Fläche gelangt der Sauerstoff aus der Atemluft ins Blut und von dort zu den Organen. Sie brauchen ihn als Kraftstoff für ihre Arbeit. Hier entsteht als Abbauprodukt Kohlendioxid. Dieses Abfallprodukt der Atmung gelangt per Blutbahn zurück zu den Lungenbläschen und in die Bronchien und wird ausgeatmet.
In jungen Jahren funktioniert der Sauerstoffaustausch gut. Doch die Lunge altert. «Ab 30 nimmt die Lungenfunktion ab, jedes Jahr verliert sie etwa 30 Milli­liter», sagt Pneumologe Otto Brändli. Das sei noch kein Grund zur Sorge. «In einer gesunden Umgebung reicht der Alveolenvorrat für 120 Lebensjahre.»

So gesund ist die Umgebung aber nicht immer. «Besonders gefährdet sind Raucher und Passivraucher, denn im Tabakqualm stecken viele Schadstoffe», sagt Otto Brändli. Doch auch andere Feinstaubpartikel können Lungen und Bronchien reizen: Schadstoffe am Arbeitsplatz, Krankheitserreger, Blütenpollen oder Milbenkot.

Husten gehört zum Abwehrsystem

Gesunde Atmungsorgane wehren sich dagegen. Die feinen Härchen in der Nase stoppen die gröbsten Partikel. Die kleineren schleudert der Hustenreflex wieder nach draussen. Und gegen besonders hartnäckige Eindringlinge wehrt sich die Schleimhaut, mit der die Atemwege ausgekleidet sind. Auf ihr bleiben die winzigen Körner kleben und werden von der wellenförmigen Bewegung kleinster ­Flimmerhärchen zurück zum Rachen befördert.

Manchmal funktioniert diese Selbstreinigung nicht. Bei einer Erkältung etwa dringen Viren in die Atemwege vor. Die Bronchien wollen die Erreger wieder loswerden und produzieren dazu viel Schleim. Der verstopft die Bronchien, das Atmen fällt schwer und schwerer. Mit Husten befördern wir den Schleim nach draussen. Normalerweise reicht das. Allenfalls kann ein wenig Unterstützung hilfreich sein. Dann verschreibt der Hausarzt ein Hustenmittel.

Die Krankheiten der Lunge

Solche Infekte sind zwar lästig, doch meist harmlos. Manchmal verbirgt sich aber hinter Husten und Atemnot eine ernst zu nehmende Krankheit, die in die Hände eines Arztes gehört. Wir stellen Ihnen die wichtigsten Krankheiten mit ihren Symptomen in den Boxen zu dieser Geschichte vor. Sie sind entstanden in Zusammenarbeit mit den Pneumologen Jürg Barandun, Lungenzentrum Hirslanden Zürich, Otto Brändli, Präsident Lunge Zürich, Martin Brutsche (COPD und Schlafapnoe), Kantonsspital St. Gallen, sowie dem Zürcher Hausarzt Abraham Licht (Bronchitis/Lungenentzündung).


So pflegen Sie Ihre Atemwege
  • Bewusstes Atmen: Mit der richtigen Atemtechnik lässt sich in hektischen Situationen Ruhe bewahren. Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Atmen Sie so tief ein und aus, dass sich die Bauchdecke hebt und wieder senkt.
  • Bewegung und Sport: Besonders geeignet sind Schwimmen, Nordic Walking und das Fitnesstraining an Geräten. Diese Sportarten fördern die Durchblutung, stärken die Atemmuskulatur und erhöhen die körperliche Leistungsfähigkeit (bei einer pulmonalen Hypertonie Erkrankung nur nach Rücksprache mit dem PH-Spezialist).
  • Schutz bei der Arbeit: Wer von Berufs wegen häufig Staub, Rauch und Dämpfen ausgesetzt ist, sollte seine Atemwege mit einer Maske schützen.
  • Nicht rauchen: Tabakrauch schadet den Atmungsorganen. Legen Sie den Glimmstängel weg, und ­meiden Sie verrauchte ­Räume.
  • Impfen: Die Atemwege von älteren Menschen und chronisch Kranken sind besonders sensibel. Jeder Infekt dauert bei ihnen länger, und die Symptome sind stärker. Darum empfiehlt sich für sie eine Grippe- und Pneumo­kokken-Impfung.
  • Wärme: Bei akuten Atemwegserkrankungen hilft Wärme von innen und aussen. Warme Wollpullover und Schals tragen und viel heissen Tee trinken.
  • Mit Husten zum Arzt: Will ein hartnäckiger Husten nach drei Wochen nicht verschwinden, kann das auf ein ernst zu nehmendes Leiden hindeuten. Gehen Sie zum Arzt.

Stimmt das?
Luftbefeuchter schützt vor Atemwegserkrankung
Gerne preisen Hersteller ihre Luftbefeuchter damit an, gerade im Winter helfe eine erhöhte Luftfeuchtigkeit gegen trockene Nasen und Atemwege. Das mag bei Erkältungen vorübergehend zutreffen. Doch ist ein feuchtes Klima der perfekte Nährboden für Milben, Viren und Bakterien. Und die können den Bronchien eher schaden als nützen.

Stimmt das?
Wer erkältet ist, muss in der warmen Stube bleiben
Bei allen Erkrankungen der Atemwege tut frische Luft gut. Geschont werden die Bronchien, wenn man durch die Nase ein- und durch den Mund ausatmet. Bei Temperaturen weit unter null Grad oder hohen Ozonwerten sollte man den Ausflug ins Grüne vertagen.

Stimmt das?
Verschmutzte Luft – da ­schaden Zigaretten nicht
Die Luft enthält zwar viele Schadstoffe, aber lange nicht so viele wie eine Zigarette. Raucher und Passivraucher gefährden ihre Atemorgane. Tabakrauch besteht aus 4000 verschiedenen Stoffen, davon sind 40 krebserregend. Durch das Inhalieren gelangen die Gift-stoffe auf direktem Weg in die Lunge und von dort in den ganzen Körper.


1. Akute Bronchitis
  • Bei der schmerzhaften Atemwegs­entzündung sind meist Viren in die Atemwege eingedrungen. Nur selten verur­sachen Bakterien die Entzündung. Um die Erreger loszuwerden, produzieren die Bronchien mehr Schleim. Dadurch verkleben die kleinsten Atemwege und verstopfen.
  • Die Patienten klagen in der Regel über ein unangenehmes Gefühl in den Atemwegen sowie über Hustenreiz und manchmal auch über Atemnot. Bei kleinen Kindern macht sich die Verschleimung oft durch ein Rasseln beim Atmen bemerkbar. Darum nennt man die Bronchitis auch Rasselhusten.
  • Am besten helfen bewährte Hausmittel: Brustwickel, Tee trinken oder Wasserdampf inhalieren. Antibiotika nützen nur selten, wenn Bakterien die Ursache sind. Fehl am Platz sind Säfte, die den Husten stillen, denn der Schleim in den Bronchien muss möglichst schnell abgehustet werden.
2. Schlafapnoe
  • Die Atmung setzt im Schlaf bis zu 100-­ mal pro Stunde für 15 bis 30 Sekunden aus. Schuld ist eine vererbte Schwäche oder übermässige Fetteinlagerung in der Rachenmuskulatur. Die schlaffen Muskeln verschliessen die oberen Atemwege.
  • Lautes Schnarchen mit Atempausen ist ein typisches Zeichen. Der Patient wird ständig geweckt und hat eine schlechte Schlafqualität. Tagesschläfrigkeit und Müdigkeit mit Konzentrations­störungen sind die Folge. Dazu kommen Sauerstoffmangel und nach ein paar Jahren Bluthochdruck.
  • Am wirksamsten ist die sogenannte CPAP-Therapie. Über eine Maske gelangt nachts ein Luftstrom in die Nase und hält die Atemwege offen. Eine weitere Möglichkeit ist eine Zahnspange, die den Unterkiefer vorschiebt und den Verschluss der Atemwege verhindert. In seltenen Fällen wird operiert.
3. Lungenkrebs
  • 3500 Menschen sterben in der Schweiz jährlich an Lungenkrebs. Bei Männern ist es die Krebsart mit der höchsten, bei Frauen mit der zweithöchsten Sterblichkeit. Rauchen ist die häufigste Ursache. Weitere sind Asbest, Luftverschmutzung und radioaktive Strahlung. Die Zellen in der Lunge entarten, und es entsteht eine bösartige Geschwulst.
  • Ein hartnäckiger Husten wird oft als Raucherhusten verkannt. Deshalb bleibt Lungenkrebs meist lange Zeit unbemerkt. Treten Symptome wie Brustschmerzen, Husten mit blutigem Auswurf und Gewichtsverlust auf, ist der Tumor schon weit fortgeschritten und hat möglicherweise bereits Ableger gebildet.
  • Je früher man den Tumor entdeckt, desto grösser die Heilungschancen. Grössere Tumore werden im Frühstadium so weit wie möglich operativ entfernt. Chemo- und Strahlentherapien können den fortgeschrittenen Krebs hemmen oder sogar zurück­bilden. Weil sich der Krebs oft im ganzen Körper ausbreitet, nützt eine Lungentransplantation kaum.
4. COPD – Chronische obstruktive Lungenkrankheit
  • COPD ist der Oberbegriff für langsam fortschreitende Krankheiten der Atemwege, bei denen die Lungenfunktion eingeschränkt und das Lungengewebe zerstört wird. Ursache ist meist das Rauchen. Andere Auslöser sind Feinstaub, Dämpfe, Staub aus der Landwirtschaft oder eine genetische Veranlagung. In der Schweiz leiden 400 000 Menschen an COPD. 4000 sterben hierzulande jährlich daran.
  • Zerstörte Lungenbläschen können den Gasaustausch nicht mehr gewährleisten. Es kommt zu einer Überblähung der Lunge, dem sogenannten Lungen­emphysem. Weil nicht mehr genügend Sauerstoff ins Blut gelangt, leiden die Patienten unter Atemnot und Sauer­stoffmangel. Dazu kommt schon bald ein Abbau von Muskelmasse und eine Überbelastung des Herz-Kreislauf­Systems.
  • COPD ist nicht heil-, aber behandelbar. Raucher müssen auf Zigaretten verzichten. Trotz Atemnot ist ein körperliches Training für Muskeln und Herz wichtig. Dazu kommen Medikamente, welche die Bronchien erweitern und die Entzündung hemmen. Im Spätstadium brauchen die Patienten meist permanent zusätzlichen Sauerstoff und zuletzt eine Operation oder gar eine Lungentransplantation.
5. Asthma
  • Asthmapatienten haben meist eine Allergie – etwa gegen Hausstaubmilben, Tierhaare oder Pollen. Kommen solche Patienten dann in Kontakt mit einer bestimmten reizenden Substanz, wird das Asthma ausgelöst. Ein solcher «Trigger» kann ein banaler Schnupfen sein, aber auch Parfümduft, Kälte, Rauch, Abgase, Staub oder Ozon.
  • Weil sie die Fremdkörper wieder ­loswerden wollen, schwellen die Bronchien an und produzieren zusätzlichen Schleim. Es kommt zu Husten mit Auswurf von zähem Schleim, einem Enge­gefühl auf der Brust und Atemnot.
  • Wird Asthma rechtzeitig erkannt, kann man damit gut leben und sogar Sport treiben. Der Patient muss die Auslöser seiner Krankheit kennen und möglichst meiden. Kommt es zum Asthmaanfall, helfen ein bronchien­erweiternder Spray sowie entzündungshemmende Mittel.
6. Lungenentzündung
  • Meist verursachen Bakterien diese akute Entzündung des Lungengewebes. Sie gelangen bei einem Infekt in die Atemwege. Darum ist eine Lungen­entzündung häufig die Folge einer Grippe. Im Gegensatz zur Bronchitis sind hier nicht nur die Bronchien, sondern auch die Lungenbläschen betroffen.
  • Wer an einer Lungenentzündung leidet, fühlt sich meist krank und schwach, hat Fieber und Husten; auch Atemnot und Schmerzen in der Brust können auftreten.
  • Eine Lungenentzündung muss fast immer mit Antibiotika behandelt werden. Schleimlösende Mittel helfen beim Abhusten. Linderung können zudem fiebersenkende Mittel und Inhalationen bringen.
[@uelle: Schweizer Familie / Text Angela Lembo]
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