Über Transplantationsmedizin und Phantasie

Organtransplantationen sind trotz den nach wie vor damit verbundenen Risiken weitgehend selbstverständlich geworden. Literarische Thematisierungen solcher Verpflanzungen zeigen, wie sehr sich im Lauf der Zeit nicht nur Körpervorstellungen, sondern auch die Verhältnisse vom Eigenen und Fremden verändert haben.

«Weisst Du, was eine Transplantation ist? Die Mediziner nennen das, wenn ein Mensch ein Stück seiner Haut hergibt, damit es einem anderen an einer wunden Stelle eingesetzt werde. Das wächst dann mit diesem und wird ein Teil von ihm und bleibt doch schliesslich auch ein Teil vom Leib des anderen.» In einem Briefentwurf aus dem Jahr 1908 an die «liebe Liesl» träumte Robert Musil von einer gegenseitigen Hauttransplantation. Gerne würde man wissen, an welcher Stelle seines Körpers sich Musil das Stückchen von Liesls Haut hätte einpflanzen oder aufpfropfen lassen. In der Kniebeuge, am Oberschenkel, in der Achselhöhle, am Arm oder auf der Bauchdecke? Welches Stückchen ihrer Haut hätte er sich gewünscht, welches hätte er selbst preisgegeben? Wo dachte er sich sein Stückchen Haut auf Liesls Körper?

Möglicherweise kannte Musil Athanasius Kirchers Überlegungen zu dem im sechzehnten Jahrhundert von Antonio Branca und Gaspare Tagliacozzi entwickelten Verfahren der Rhinoplastik. Statt aus einem Hautlappen der Stirn einen Nasenersatz zu formen, verwendeten sie die Haut eines Armes. Da das Gewebe so lange, bis es an seiner neuen Stelle anwächst, durchblutet und versorgt sein muss, durfte die Haut nicht vollständig abgetrennt werden. Der Arm des Patienten wurde zu diesem Zweck fest mit dessen Kopf verbunden. In literarischen Bearbeitungen des Themas – Samuel Butler, Voltaire, Edmond About und andere bedienten sich des Motivs – stammt die Haut durchwegs von einem Spender, etwa einem jungen und gesunden Wasserträger, der bereit ist, gegen Bezahlung ein Stück der Armhaut preiszugeben und wochenlang, an den Empfänger gebunden, mit diesem das Bett zu teilen.

Athanasius Kircher (1602-1680) stellte sich vor, dass zwei Menschen, denen ein Stückchen Haut des jeweils anderen eingepflanzt würde, sich auf grosse Distanz miteinander verständigen könnten. Voraussetzung dafür sei ein vereinbartes Alphabet, mit dessen Hilfe die empfangenen Signale, die durch Nadelstiche an genau festgelegten Stellen ausgelöst werden müssten, entziffert werden könnten. Eduard Zeis schrieb in seiner 1862 erschienenen «Geschichte der plastischen Chirurgie», dieses Phantasiestück sei nicht für die Chirurgie, sondern für die Geschichte der Telegrafie von Bedeutung. Dennoch reflektieren sich darin vor allem Krankheits- und Körpervorstellungen seiner Zeit. Hätte man Kircher gefragt, was denn mit einem Hautstückchen geschehe, sollte derjenige, der es für eine Transplantation preisgegeben hat, sterben, zweifellos hätte er geantwortet, in diesem Fall werde es sich entzünden und abfallen.

«Rhinoplastik»

In Edmond Abouts Erzählung «Die Nase des Herrn Notar» (1862), wohl die detaillierteste literarische Thematisierung einer Rhinoplastik, gelingt der Eingriff zwar, doch schon bald zeigen sich Komplikationen. Die Nase entzündet sich und droht abzufallen; der Spender vertrinkt jenes Geld, welches er für das Stückchen Haut und die erduldeten Strapazen erhalten hat. Eine Behandlung dieses Übels kann deshalb nur bedeuten, den Spender selbst zu behandeln, diesem Diäten zu verschreiben und ihn zu einem disziplinierten Lebenswandel zu führen. Wie in anderen Bearbeitungen fällt auch bei About die künstlich geformte Nase mit dem Tod des Spenders ab.

In all diesen Geschichten spiegeln sich Vorstellungen von sympathetischen Körpern. Das fremde Organ ist mitteilsam, vor allem aber besitzergreifend. Es droht den Empfänger einer Hand zu einem Mörder oder Dieb zu machen, so wie im Grimm’schen Märchen «Die drei Feldscherer» die unterschobenen Organe den Charakter der Empfänger verändern. Der modernen Medizin sind solche Vorstellungen fremd. Dies verdankt sich nicht allein systematischer Forschung, die immunbiologische Reaktionen zu verstehen und zu beeinflussen hilft, sondern auch einem Denken, das den Körper aus seinen sozialen Gefügen gelöst und seinen symbolischen Bedeutungen weitgehend entfremdet hat. In der gegenwärtigen Gesellschaft mit ihren Identitätsvorstellungen, die stark am Konsum von Waren und Dienstleistungen orientiert sind, haben die traditionellen wechselseitigen Verpflichtungen an Bedeutung verloren. Die Frage nach dem Verhältnis von Eigenem und Fremdem wird anders gestellt. Das Motiv vom Toten, der zurückkehrt, um sich das geraubte Organ zu holen, lässt sich in jüngeren literarischen Bearbeitungen nicht mehr nachweisen. Stattdessen spielt die Frage nach der gewaltsamen Organbeschaffung eine zentrale Rolle.

Neutralisierungsversuche

Auch wenn die Transplantationsmedizin Organe wie das Herz jeder herkömmlichen Metaphorik beraubt hat, so ist für heutige «Empfänger» das Herz des «Spenders» keineswegs neutral. Jede Herztransplantation setzt den Tod eines anderen Menschen voraus. Zumindest in der Phantasie wird die Lebensgeschichte einer fremden Person eingeführt. Auch in den Patientenerfahrungen jedoch rücken medizinisch-biologische Aspekte in den Vordergrund. Nicht länger geht es – beispielsweise – um die Angst, durch das fremde Herz zu einem Mann oder zu einer Frau zu werden, es geht um Gewebeverträglichkeit und mögliche Abstossungsreaktionen, um die Angst, das Herz eines kranken oder alten Menschen eingepflanzt bekommen zu haben und so womöglich schon wieder auf die nächste Transplantation zuzusteuern. Der Medizin kommt eine stark sozialisierende Funktion zu. In besonderer Weise gilt dies für Patienten, die an einer Herz-, Lungen- oder Niereninsuffizienz leiden. Sie werden durch eine Vielzahl von Terminen, Untersuchungen oder Eingriffen als künftige Transplantationspatienten gewissermassen profiliert. All diese Erfahrungen führen zu einer Art Normalität, welche die Voraussetzung dafür bildet, ein fremdes Organ als eigenes zu akzeptieren. Auch treibt die Transplantationsmedizin einen enormen Aufwand, die Spenderorgane von ihrer Herkunftsgeschichte zu befreien und zu neutralisieren.

Ganz fern sind sympathetische Regungen jedoch auch dem modernen Menschen nicht. Patienten können nach einer erfolgten Transplantation durchaus phantasieren, im Organ teile sich der Spender mit. Einer Frau wurden 1988 Herz und Lunge eines achtzehnjährigen Motorradfahrers implantiert. Sie beobachtete an sich in der Folge ihr bisher unbekannte Charakterzüge, auch den Wunsch, Bier zu trinken, oder den Heisshunger auf Gerichte, die ihr früher fremd gewesen waren. Sie stürzte sich in Unternehmungen, die eher für Jugendliche typisch sind. Als es ihr schliesslich gelang, mit den Angehörigen des Spenders Kontakt aufzunehmen, bestätigten ihr diese, dass die von ihr erlebten Veränderungen ganz der Persönlichkeit des Umgekommenen entsprächen. In Alltagstheorien zu solchen Erfahrungen wird so etwas wie ein «Organbewusstsein» angenommen. Mag die moderne Medizin traditionelle Krankheitsvorstellungen und ungewöhnliche Körpererfahrungen auch in das Reich des Irrationalen verwiesen haben – ohne «Spekulationen» wie die angedeuteten werden Patienten ihre Krankengeschichte kaum bestehen.

[@uelle NZZ-online / Bernhard Kathan]

Der Autor lebt und arbeitet als Kulturhistoriker in Innsbruck.

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