Seitenverkehrte Organe (situs inversus) und das Kartagener Syndrom (Primäre Ciliäre Dyskinesie)

Situs inversus

Die Links-Rechts-Asymmetrie der inneren Organe wird von Proteinen mitbestimmt, die in Embryonen nur in einer Körperhälfte auftreten.

Äusserlich sehen wir von vorn betrachtet annähernd symmetrisch aus: Jede Struktur der einen Körperhälfte hat ein Gegenstück auf der anderen Seite, wenn man sich eine Linie vom Scheitel abwärts denkt. Mit den inneren Organen ist das anders. Einige sind nur auf einer Seite vorhanden oder zu einer Seite hin deutlich grösser. Auch manche doppelten Organe sind rechts und links nicht gleich – beispielsweise besitzt der rechte Lungenflügel drei Lappen und der linke nur zwei. Der Dickdarm krümmt sich entgegen dem Uhrzeigersinn. Und selbst manche Gehirnstrukturen treten nur in einer Hemisphäre auf.

Warum liegen die inneren Organe nicht auch symmetrisch? Und wie kommt es dazu?
Auf der Suche nach einer Antwort haben Entwicklungsbiologen nun einige von den Molekülen identifiziert, die Lage, Gestalt und Orientierung der inneren Organe bestimmen.
Die Ergebnisse zeigen, dass vielfältige Krankheitsbilder auftreten können, wenn diese Moleküle fehlen oder am falschen Ort gebildet werden. Wenn wir die Funktionsweise dieser Faktoren genau verstehen, liessen sich Wege finden, solche Störungen zu behandeln oder ihnen vorzubeugen.

Asymmetrisch gebaute und asymmetrisch sitzende Organe wären in der Evolution nicht entstanden, wenn dies dem Organismus nicht Vorteile gebracht hätte. Ein Beispiel dafür ist das überaus komplexe Verdauungssystem der höheren Wirbeltiere, das sich in asymmetrischen Schleifen und Schlingen in der Leibeshöhle platzsparender unterbringen lässt. Desgleichen vermag bei ihnen erst ein asymmetrisches Herz das Blut in günstiger Weise auf den Körper- und den Lungenkreislauf zu verteilen, insbesondere auch bei den warmblütigen Vögeln und Säugern.
Es verfügt dann über zwei getrennte Pumpensysteme: Das rechte versorgt die Lunge, das stärkere linke den übrigen Körper.

Bei manchen Menschen liegen die inneren Organe auf der falschen Seite, ohne dass ihre Funktion beeinträchtigt wäre. Einer von etwa 8000 bis 25000 Menschen wird mit sogenanntem „Situs inversus“ geboren (die normale Anordnung heisst „Situs solitus“); die Organe liegen dann nicht nur seitenverkehrt, sondern sind auch spiegelbildlich zur normalen Lage gebaut, also Herz und Magen spiegelbildlich rechts, die Leber links, und so weiter. Die Betroffenen sind gewöhnlich völlig gesund.
Offenbar ist nur die Ausrichtung der Organe zueinander wichtig: Es scheint, dass im Grunde nur eine bestimmte innere Logik eingehalten sein muss. Schlechter sieht es hingegen aus, wenn die an ungewohnter Stelle sitzenden Organe nicht spiegelbildlich zur normalen Anordnung ausgebildet sind („Situs ambiguus“). Solche Menschen sterben oft früh an Lungen- oder Herzkomplikationen.

Ursachen vertauschter Organ-Anordnung entdeckt

Nicht bei allen Menschen schlägt das Herz in der linken Seite der Brust. So befinden sich die Organe von Personen, die am Kartagener-Syndrom leiden, zur Hälfte auf der gegenüberliegenden Seite. Tauschen alle Organe die Plätze, treten nur selten gesundheitliche Schäden auf. Wechseln jedoch nur einige ihren angestammten Platz, sind gesundheitliche Probleme vorprogrammiert. Wissenschaftler konnten im Tierversuch nun erstmals die Ursache für den seltsamen Platzwechsel feststellen.

Wie der Biologe Shigenori Nonaka und seine Kollegen von der University of Osaka herausgefunden haben, beruht die Umkehrung der Organe auf fehlerhaft arbeitenden Cilien – feinsten Härchen, die sich unter anderem auf Embryonen befinden.

Flussrichtung bestimmt Organanordnung

Cilien sitzen auch in der Körpermitte von Mausembryonen, wo sie während der Schwangerschaft permanent gegen den Uhrzeigersinn kreisen. Diese Bewegungen lassen das Fruchtwasser ebemso permanent von rechts nach links über den heranreifenden Embryo fliessen – und dies scheint wiederum die Symmetrie der inneren Organe fest zu legen.
Der Mechanismus könnte nach Angaben der japanischen Wissenschaftler für die Entwicklung aller Wirbeltiere Gültigkeit haben. Ihre Studienergebnisse veröffentlichten sie in der aktuellen Ausgabe von „Nature“.

Ursache: Botenstoffe oder Druckunterschiede?

Es ist überraschend, dass gerade ein so einfacher Prozess so tiefe und weitreichende Konsequenzen hat, meint der Biologe Claudio Stern vom University College London in der Online-Ausgabe von Nature.

„Viel wichtiger ist aber jetzt herauszufinden, wie die Flussrichtung des Fruchtwassers die Lage der Organe beeinflusst“, so Mark Mercola von der Harvard University in Cambridge. „Möglicherweise besitzen die Cilien einen chemischen Botenstoff, der die linke Köperhälfte markiert, oder es sind unterschiedliche Druckverhältnisse auf den Embryoseiten für die Organverteilung verantwortlich.“

Auch Gene sind von diesem Vorgang betroffen

Die durch die Bewegungen der Cilien gelöste Flussrichtung des Fruchtwassers legt die Verteilung der inneren Organe innerhalb weniger Stunden fest. Der Vorgang erfolgt innerhalb der ersten Entwicklungswoche des Embryos. Ist die Rechts-Links-Anordnung einmal festgelegt, bestimmt sie auch, welche Gene auf welchen Seiten aktiv werden.

Umkehr der Flussrichtung ändert Organverteilung

Es wurde schon seit längerem vermutet, dass die Bewegungen dieser haarfeinen Strukturen, die auf bestimmten Zellen vertreten sind, eine essenzielle Wirkung auf die Verteilung der Organe hat.

Daher entfernten die Entwicklungsbiologen rund um Nonaka Mäusembryonen aus ihrem natürlichen Umfeld und setzten sie in ein Kulturmedium. Diese Flüssigkeit wurde permanent von links nach rechts – statt umgekehrt – über die Mausembryonen bewegt. Die Flussrichtung war so stark, dass die Cilien nicht dagegen ankamen.

Das Resultat:

Die geborenen Mäuse trugen das Herz tatsächlich auf der gegenüberliegenden Körperseite. Auch das Muster der Genaktivität war verkehrt.

Willkürliche Strömungen führen zu Missbildungen

Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler gentechnisch veränderte Mäuse, die keine Cilien besitzen. Sie wurden einem künstlich erzeugten Flüssigkeitsstrom ausgesetzt. Bei diesen Embryonen lagen die Organe wahllos verteilt im Körper.

Es kommt nicht darauf an, ob die Organe links oder rechts liegen, solange sie vollständig den Platz wechseln, meint Nonaka. Nicht die „richtige“ Seite, sondern der komplette Wechsel seien wichtig.

Wechseln nicht alle Organe die Seite, dann kann z. B. das Herz das Blut gegen die Lunge pressen, oder es kommt zu Knotenbildungen im Magen-Darm-Trakt.

Hinweise für Entstehung von Krebs und Entwicklungsfehler.

Die Entschlüsselung des Mechanismus der Organanordnung im Körper könnte nicht nur wichtige Hinweise auf eine Behandlungsmethode des Kartagener-Syndroms liefern, sondern auch für das Verständnis von Entwicklungsfehlern der Organe und des restlichen Körpers, so der Krebsspezialist Joseph Yost von der University of Utah.

Kartagener Syndrom (Primäre Ciliäre Dyskinesie)

Die PCD ist eine autosomal rezessiv vererbte Krankheit die ca. einen von 20.000 Personen betrifft. Die Cilien (Flimmerhärchen) des respiratorischen Epithels (Lunge, Bronchien, Nasenschleimhaut) sind bei dieser Erkrankung in ihrer Beweglichkeit gestört. Die Folge ist eine mangelhafte mukociliären Clearance (Transport von Bakterien, Staub etc in Richtung Mundöffnung) der Atemwege und daraus resultieren chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen, des Mittelohres und der Lungen. Andere Erkrankungsmanifestationen sind eine reduzierte Fertilität aufgrund einer Spermienimmobilität, sowie eine Randomisierung der Links/Rechts-Körperasymmetrie, d.h. die Hälfte der Betroffenen zeigt einen Situs inversus (spiegelverkehrte Lage der inneren Organe). Das assoziierte Auftreten von PCD und Situs inversus wird auch als Kartagener Syndrom bezeichnet. Unsere Arbeitsgruppe hat bereits einen Genort auf Chromosom 5 entdeckt und konnten bei einigen Patienten Mutationen in dem verantwortlichen Gen (DNAH5) nachweisen.

Es kommt u.a. zu folgenden Symptomen:

  • vermehrter Husten, chronische Bronchitis, häufiger Lungenentzündungen, schlimmstenfalls Lungentransplantation.
  • chronischer Schnupfen, vermehrte Polypenbildung, verminderter Geruchssinn.
  • eingeschränkte Hörfähigkeit, häufig Mittelohrentzündungen, Paukenerguss.

A. Die Flimmerhärchen (Zilien)
B. Durch eine erbliche Störung sind die Zilien, auch Flimmerhärchen genannt, nicht voll funktionsfähig. Dadurch ist eine ausreichende Selbstreinigung der Lunge und Nasennebenhöhlen nicht möglich.
Bei PCD sind die sekretproduzierenden Becherzellen vermehrt und die Zilien überwiegend unbeweglich. Eine Restfunktion ist hier erhalten. Dennoch erfolgt kein gerichteter Zilienschlag und somit auch kein Sekrettransport.
C. Die Folge: Durch Erregerbesiedlung entstehen Reizgase, was weitere Ansiedlung von Erregern zu Folge hat. Danach mögliche Entzündungen und absteigende Infektion „Pneumonie“

Flimmerhärchen (Zilien) befinden sich in den Atemwegen und haben die Aufgabe Schleim und Schmutz aus den Lungen in die oberen Atemwege zu transportieren, damit dieser dann abgehustet werden kann.
Bei der immotilien Zilien-Erkrankung funktioniert dieser Transport nicht, da die Flimmerhärchen nicht beweglich (immotil) sind. Die Folge sind wiederholte Atemwegs-, Nasennebenhöhlen- und Mittelohrentzündungen. Die wiederholten Infektionen der Lunge sind für den Krankheitsverlauf entscheidend, da im Laufe der Zeit durch immer wieder auftretende Entzündungen Lungengewebe untergehen kann. Um diesen schädlichen Prozess anzuhalten oder zu verzögern, können Patienten vorbeugend (prophylaktisch) Antibiotika und schleimlösende Medikamente (z.B. Acetylcystein) einnehmen und regelmässig Atemwegsgymnastik durchführen. Die Erkrankung tritt bereits im Kindesalter auf. Sie kann aber auch früher oder später beginnen. Die Erkrankung ist erblich. Genauer gesagt handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung. Das bedeutet, dass ein betroffenes Kind ein verändertes Gen vom Vater und eines von der Mutter erbt, um zu erkranken. Als besonderes Merkmal des, Kartagener Syndroms“ kommt es in der Hälfte der Betroffenen zu einer spiegelbildlichen Anordnung der Organe. Das Herz befindet sich dann rechts und nicht wie üblich links. Diese Vertauschung der Organe führt zu keinen Problemen und hat keinen krankheitswert.
Mit Hilfe molekularbiologischer Methoden ist es heute möglich geworden, durch die Untersuchung von Blutproben möglichst vieler Familienmitglieder (Betroffene und Nichtbetroffene) von möglichst vielen Familien, das oder die verantwortlichen Gene zu finden, welche diese Erkrankung verursachen.

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