Wie fühlen sich Patientinnen und Patienten nach einer Lungentransplantation? – Zu den Ergebnissen einer psychosozialen Studie am Universitätsspital Zürich

Einleitung

Seit die erste Lungentransplantation 1983 durchgeführt wurde, beschäftigte sich auch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen mit den psychosozialen Aspekten einer Lungentransplantation. Diese Untersuchungen, die in verschiedenen Ländern durchgeführt wurden, zeigten, dass sich nach einer Lungen-Transplantation sowohl die allgemeine Lebensqualität wie das psychisches Befinden sehr deutlich und langfristig verbessern (1-9). Die Gründe für diese psychosoziale Verbesserung liegen hauptsächlich darin, dass sich nach einer Lungen-Transplantation in der Regel der körperliche Gesundheitszustand positiv verändert; ausserdem können gesundheitliche Probleme nach einer Transplantation im Verhältnis zu der unmittelbaren Bedrohung der früheren Lungenerkrankung weniger belastend wirken. Trotz den unbestreitbaren medizinischen Fortschritten, die in den letzten Jahren stattgefunden haben, führt eine Lungentransplantation nicht zu einer vollständigen gesundheitlichen Genesung. Lungentransplantierte Patienten bleiben weiterhin mit verschiedenen gesundheitlichen Problemen konfrontiert, die sie psychisch verarbeiten und bewältigen müssen. Zu diesen Problemen gehören beispielsweise die Nebenwirkungen der Medikamente, die Gefahr einer Abstossungsreaktion sowie Infektionen der Lunge, die vor allem infolge der Immunsuppression auftreten können.

In dem folgenden Artikel wollen wir die wichtigsten Resultate einer Studie zusammenfassen, welche sich mit diesen psychosozialen Themen beschäftigte; die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser Studie liegen im übrigen in einer englischsprachigen Veröffentlichung vor (10). In dieser Studie, die vor zwei Jahren am UniversitätsSpital Zürich durchgeführt wurde, untersuchten wir, inwiefern psychisches Wohlbefinden und körperlicher Gesundheitszustand lungentransplantierter Patienten zusammenhängen. Das heisst, wir wollten mit wissenschaftlichen Mitteln erfahren, wie es unseren Patientinnen und Patienten nach einer Lungentransplantation seelisch geht, und zwar insbesondere in Rücksicht auf mögliche körperliche Belastungen, die nach einer Transplantation auftreten können. Beinahe alle Patientinnen und Patienten, die wir um eine Teilnahme gebeten hatten, waren bereit, den Fragebogen auszufüllen. Es handelte es sich um insgesamt 50 von 53 angefragten Patientinnen und Patienten, die länger als ein Jahr transplantiert waren. Diese hohe Teilnahmequote hat uns natürlich sehr gefreut, weil die statistischen Ergebnisse aussagekräftiger sind, wenn möglichst viele der angefragten Patientinnen und Patienten an einer solchen Untersuchung teilnehmen.

Wir befragten unsere Patientinnen und Patienten mithilfe eines anonymisierten Fragebogens zu ihrer psychosozialen Lebenssituation, insbesondere zu ihrem psychischen Befinden (z.B. zu Ängsten, Depressivität, Selbstwertgefühl und der sozialen Unterstützung). Auch erkundigten wir uns, wie die Teilnehmenden ihre körperliche und psychische Gesundheit selbst einschätzten. Zusätzlich registrierten wir die aktuellen Ergebnisse der Lungenfunktion (FEV1) und erfassten, ob in den letzten sechs Monaten verschiedene körperliche Komplikationen aufgetreten waren. Auch befragten wir die behandelnden Ärztinnen und Ärzte, wie diese den aktuellen Gesundheitszustand ihrer Patienten einschätzten.

Zu den Ergebnissen der Studie

Wir möchten zunächst die Ergebnisse unserer Studie zusammenfassen und dann einige interpretierende Gedanken dazu äussern. Wir sahen, dass der Mittelwert der aktuellen Lungenfunktion (FEV1) bei 93.04 % lag. Fünf Patienten bzw. Patientinnen hatten eine chronische Abstossungsreaktion (10%); bei keinem Patient bestand eine akute Abstossungsreaktion. 16 Patienten (32%) hatten in den letzten 6 Monaten eine Infektion der Lunge, 20 Patienten (40%) eine andere körperliche Komplikation, die sich nicht auf die Lunge bezieht (z.B. eine Osteoporose, chronische Sinusitis, Inguinalhernie usw.).
Der Mittelwert, wie die körperliche Gesundheit eingeschätzte wurde, lag bei 2.54; der Mittelwert hinsichtlich der psychischen Gesundheit lag bei 2.44. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Einschätzung auf einer 5-Punkte-Skala durchgeführt wurde, lagen beide Mittelwerte zwischen „sehr gut“ (2) und „gut“ (3). Kein Patient bzw. keine Patientin schätzte die aktuelle körperliche und psychische Gesundheit als „schlecht“ ein.
Bei der Einschätzung der Angst und Depressivität zeigte sich, dass das Ausmass beider Gefühlszustände in der gesamten Teilnehmer-Gruppe unauffällig war und der Norm entsprach. Mit anderen Worten: Lungentransplantierte Patienten erlebten in unserer Studie im Durchschnitt nicht mehr Angst oder Depressivität als die „Normalbevölkerung“. Der Mittelwert für das Selbstwertgefühl lag sogar etwas höher als in Vergleichsgruppen, etwa von krebskranken Patienten, deren Angehörigen oder dem zuständigen Pflegepersonal.

Wir sahen aber auch, dass Angst und Depressivität um so geringer waren, je besser die soziale Unterstützung eingeschätzt wurde. Kein statistischer Zusammenhang bestand hingegen zwischen der Anzahl Tage seit der Transplantation und den psychosozialen Merkmalen (also Angst, Depressivität, Selbstwertgefühl usw.). Dieses Ergebnis bedeutet, das jemand, der schon längere Zeit transplantiert war, beispielsweise nicht mehr oder weniger Angst berichtete als jemand, der noch nicht so lange transplantiert war. Allerdings gaben diejenigen Patientinnen und Patienten, die in den letzten sechs Monaten eine Infektion der Lunge hatten (z.B. eine Lungenentzündung), deutlich höhere Angstwerte an. Dabei war nicht ausschlaggebend, wie der aktuelle körperliche Gesundheitszustand war: Auch wenn es diesen Patienten gesundheitlich wieder besser ging, gaben sie dennoch weiterhin höhere Angstwerte an. Dieser Zusammenhang bestand aber nur bei Patienten, die in den letzten 6 Monaten eine Infektion der Lunge hatten. Patienten mit anderen körperlichen Problemen gaben keine höheren Angstwerte an.

Die Patientengruppe mit einer chronischen Abstossungsreaktion war zu klein, um mit der Patientengruppe ohne chronische Abstossungsreaktion statistisch verglichen werden zu können. Dennoch zeigen unsere Ergebnisse die Tendenz, dass Patienten mit einer chronischer Abstossungsreaktion mehr Angst hatten als Patienten ohne eine chronische Abstossungsreaktion. Wir haben auch geprüft, ob ein Unterschied zwischen den Angaben der Frauen und Männer bestand. Tatsächlich zeigte sich, dass Männer nach der Lungentransplantation deutlich depressiver waren als Frauen. Bei allen weiteren psychosozialen Merkmalen bestand hingegen kein statistischer Unterschied zwischen Männern und Frauen. Im übrigen unterschieden sich Patienten mit einer Cystischen Fibrose nur im Alter von Patienten mit einer anderen Lungenerkrankung; in allen anderen untersuchten Merkmalen bestand kein Unterschied zwischen diesen beiden Patientengruppen.

Unsere Gedanken zu den Ergebnissen der Studie am UniversitätsSpital Zürich

Eines der wichtigsten Ergebnisse unserer Studie lautet, dass sich das psychische Befinden (z.B. in Form von Angst und Depressivität) lungentransplantierter Patienten und Patienten nicht von dem Befinden der Durchschnittsbevölkerung unterscheidet. Das Selbstwertgefühl lag sogar etwas höher als in Vergleichsgruppen mit anderen, körperlich kranken Patienten. Lungentransplantierte Patienten scheinen sogar etwas selbstbewusster als das Pflegepersonal zu sein. Damit kann man sagen, dass Patienten nach einer Lungentransplantation weder depressiver noch angstvoller sind als andere Menschen. Sie fühlen sich sozial gut unterstützt und haben in der Regel ein gutes Selbstwertgefühl. Interessanterweise stimmen diese Ergebnisse unserer Studie weitgehend mit den Resultaten einer anderen grossen Studie überein, die in Kanada durchgeführt wurde (8). Diese Übereinstimmung unterstützt natürlich unsere eigenen Ergebnisse.

Eine weitere, wichtige Erkenntnis aus unserer Studie war, dass Männer sich nach einer Lungentransplantation als depressiver erleben als Frauen. Wir vermuten, dass sich die Männer durch die gesundheitlichen Einschränkungen, etwas bezüglich der beruflichen Leistungsfähigkeit, stärker betroffen fühlen als Frauen. Man kann aus diesen Ergebnissen schliessen, dass es grundsätzlich für beide Geschlechter, für Männer aber möglicherweise besonders wichtig ist, nach der Transplantation ein berufliches und körperliches Betätigungsfeld zu zurückzugewinnen. Im übrigen zeigte ein weiterer Gruppenvergleich, dass Patienten mit einer Cystischen Fibrose sich hinsichtlich des psychischen Befindens weder von Patienten mit anderen Lungenerkrankungen noch von der Durchschnittsbevölkerung unterscheiden, nachdem eine Lungentransplantation durchgeführt worden war.

Bei der Untersuchung möglicher Zusammenhänge zwischen psychosozialen und körperlichen Merkmalen zeigte sich, dass zwischen den psychosozialen Merkmalen und dem objektiven Lungenfunktionsmesswert FEV1 kein statistischer Zusammenhang bestand. Eine schlechtere Lungenfunktion hängt demnach nicht mit einer grösseren Angst, Depressivität oder einem vermindertem Selbstwertgefühl zusammen. Wir erklären uns diese Ergebnisse damit, dass man erst nach einer deutlichen Reduktion des FEV1 (im Allgemeinen um 50-60%) eine Veränderung des subjektiven Wohlbefindens feststellen kann. Insofern unterstreichen diese Resultate die grosse Notwendigkeit einer regelmässigen Lungenfunktionsmessung, die eine frühzeitige Erfassung einer chronischen Abstossung ermöglicht. Die eigene Selbsteinschätzung, wie man es einem psychisch oder psychisch-körperlich geht, lässt hingegen keine oder keine ausreichend verlässlichen Rückschlüsse auf die tatsächliche Lungenfunktion zu.

Dass Patienten, die in den letzten 6 Monaten eine Infektion der Lungen, z.B. eine Lungenentzündung hatte, deutlich mehr Angst angaben, zeigt hingegen, dass diese typische Komplikation auch in seelischer Hinsicht bedeutsam ist. Wie könnte man sich dieses Ergebnis erklären? Wir denken, dass es vor allem das Bewusstsein einer – in den zurückliegenden sechs Monaten – erhöhten Infektanfälligkeit ist, das die aktuelle Angst unterhält. Vielleicht wird diese Angst auch durch Erinnerungen an die bedrohlichen Symptome der früherer Lungenerkrankung wachgehalten; wenn dann nach der Transplantation eine Lungenentzündung auftritt, können die „alten“ Ängste wieder aktiviert werden. Wir haben aus diesen Ergebnissen gelernt, dass Patientinnen oder Patienten, die in den letzten sechs Monaten eine Lungenentzündung hatten, in unserem Lungentransplantations-Programm eine besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung benötigen, damit ihre Angst wieder abklingen kann.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse unsere Studie, dass Patienten nach einer Lungentransplantation bei einer ausreichenden medizinischen und psychosozialen Betreuung und einer guten sozialen Einbettung normalerweise ein Leben führen können, das dem der Durchschnittsbevölkerung ziemlich ähnlich ist. Dies bedeutet natürlich nicht, dass lungentransplantierte Menschen nicht ganz spezifische und beeindruckende Lebenserfahrungen gemacht hätten. Aber offensichtlich wirken sich diese Erfahrungen nicht so sehr auf das psychische Befinden aus, als dass man nach einer Transplantation ängstlicher, depressiver oder selbstunsicherer wäre als andere Personen. Zum Abschluss unseres Artikels möchten wir die Gelegenheit nutzen, uns nochmals bei allen Patientinnen und Patienten für die engagierte Teilnahme an unserer Studie zu bedanken.

Literatur
    • 1. Craven, JL, Bright, J, Dear, CL (1990) Psychiatric, psychosocial, and rehabilitative aspects of lung transplantation. Clin Chest Med 11,247-257
    • 2. Gross, CR, Savik, K, Bolman, RM, et al (1995) Long-term health status and quality of life outcomes of lung transplant recipients. Chest 108,1587-1593
    • 3. Caine, N, Sharples, LD, Smyth, R, et al (1991) Survival and quality of life of cystic fibrosis patients before and after heart-lung transplantation. Transplant Proc 23,1203-1204
    • 4. Limbos, M, Chan, CK, Kesten, S (1997) Quality of life in women lung transplant candidates and recipients. Chest 112,1165-1174
    • 5. Ramsey, SD, Patrick, DL, Lewis, S, et al (1995) Improvement in quality of life after lung transplantation: a preliminary study. J Heart Lung Transplant 14, 870-877
    • 6. TenVergert, EM, Essink-Bot, ML, Geertsma, A, et al (1998) The effect of lung transplantation on health-related quality of life. Chest 113, 358-364
    • 7. Cohen, L, Littlefield, C, Kelly, P, et al (1998) Predictors of quality of life and adjustment after lung transplantation. Chest 113, 633-644
    • 8. Limbos, MM, Joyces DP, Chan KN, Kesten S (2000) Psychological Functioning and Quality of Life in Lung Transplant Candidates and Recipients. Chest 118, 408-416
    • 9. Durst, CL, Horn, MV, MacLaughlin, EF, et al (2001) Psychosocial responses of adolescent cystic fibrosis patients transplantation. Pediatric Transplantation 5, 27-31
  • 10. Goetzmann, L, Scheuer, E, Naef R, Vetsch E, Buddeberg C, Russi, EW & Boehler, A (2005). Psychosocial situation and physical health in 50 patients more than one year after lung transplantation. Chest, 127, 166-170.

[@uelle: L. Götzmann, A. Boehler / UniversitätsSpital Zürich]

Frau Professor Dr. Annette Boehler ist Leiterin des Lungentransplantations-Programms am Universitätsspital Zürich. Dr. Lutz Götzmann ist Oberarzt an der Abteilung Psychosoziale Medizin, Universitätsspital Zürich.

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