Entzündetes Zahnfleisch führt nicht nur zu Zahnausfall, sondern belastet auch Organe wie Herz und Lunge. Mit regelmässigem und gründlichem Zähneputzen kann man aber Parodontitis (Zahnbettentzündung) vermeiden.

Die gute Nachricht: Die Schweizer dürfen ihre Zähne zeigen. «Die Jugendlichen haben heute fast 90 Prozent weniger Karies als noch vor 30 Jahren», weiss der Zürcher Zahnmediziner Ulrich Saxer. Der Grund: Die Kinder reinigen die Zähne gründlicher als früher. Zudem konnte in den letzten Jahren die Wirksamkeit von Zahnpasten und Zahnbürsten deutlich verbessert werden.
Die schlechte Nachricht: Um das Zahnfleisch der Schweizer ist es deutlich schlechter bestellt. Über 90 Prozent der Bevölkerung leiden gemäss einer neuen, noch unveröffentlichten Studie unter entzündetem Zahnfleisch. Bei sieben bis fünfzehn Prozent der Leute ist das Zahnfleisch sogar so stark geschädigt, dass die Erkrankung innerhalb von kurzer Zeit zu schweren Schäden am Zahnhalteapparat oder zu Zahnausfall führen kann. «Unter dieser schweren Form leiden in erster Linie Menschen über fünfzig», sagt Ulrich Saxer, Leiter der Prophylaxe-Klinik Zürich-Nord. «Das erklärt auch den erhöhten Zahnverlust in dieser Altersgruppe.»

Dank Plaque gedeihen Bakterien

Dieses Zahnfleischproblem, auch Parodontitis genannt, beginnt meist unbemerkt: Wenn jemand seine Zähne über längere Zeit falsch oder ungenügend reinigt, lagern sich am Rand zwischen Zahn und Zahnfleisch immer mehr Speisereste ab. Diese Plaque sind ein guter Nährboden für Bakterien. «In der Mundhöhle leben über 300 Bakterienarten, wobei noch lange nicht alle identifiziert sind», erklärt Ulrich Saxer. «Die meisten davon sind ungefährlich.» Einige Bakterienarten (Streptokokken) greifen jedoch das Zahnfleisch an und fördern so die Parodontitis.
Die Bakterien nisten sich im Zahnfleisch ein und vermehren sich. Es wird dadurch laufend gereizt, entzündet sich und schwillt an. «Der Patient merkt von diesem Prozess meist nichts», sagt Ulrich Saxer, «denn die Parodontitis verursacht keine Schmerzen.» Einziges Warnzeichen: Das Zahnfleisch blutet gelegentlich.
Bleibt die Entzündung unentdeckt, gräbt die Plaque einen immer tieferen Krater zwischen Zahn und Zahnfleisch. In diesen so genannten Taschen sammeln sich weitere Speisereste und Bakterien. «Bei fortgeschrittener Parodontitis leben in den Taschen mehr Bakterien, als es Menschen auf der Welt gibt», veranschaulicht Ulrich Saxer, auch Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie (SSP). Das hat Folgen: Das Zahnfleisch bildet sich immer mehr zurück. Dadurch ist der Zahn mit der Zeit nicht mehr richtig im Kiefer verankert, beginnt zu wackeln und fällt schliesslich aus.

Gefahren der Parodontitis

Parodontitis sorgt aber nicht nur in der Mundhöhle für gesundheitliche Gefahr. Neue Studien belegen, dass das Zahnfleischproblem auch ein bedeutender Risikofaktor für verschiedene andere Krankheiten ist. Ein paar Beispiele.
Frühgeburten: Gemäss einer Studie aus den Vereinigten Staaten haben schwangere Frauen, die an Parodontitis leiden, ein siebenfach höheres Risiko, dass ihr Kind zu früh und untergewichtig zur Welt kommt. «Die Parodontitis ist damit der grösste Risikofaktor für untergewichtige Frühgeburten», verdeutlicht Ulrich Saxer. «Rund 18 Prozent der Frühgeburten könnten vermieden werden, wenn bei den werdenden Müttern keine Parodontitis vorläge.»
Lungenprobleme: Gelangen die Bakterien in die Lunge, kann dies zu Lungenentzündungen führen. Nach Eingriffen mit Narkose kann das fatale Folgen haben.
Diabetes: Zuckerkranke mit Parodontitis haben mehr Mühe, ihren Zuckerstoffwechsel in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig schreitet bei ihnen die Zahnfleischerkrankung deutlich schneller voran als bei gesunden Menschen. Das Gleiche gilt für starke Raucher: Ihr Immunsystem ist oftmals geschwächt. Dadurch können sich die Bakterien leichter in der Mundhöhle einnisten und sich schneller vermehren.
Herzkrankheiten: Hier ist der Zusammenhang noch nicht völlig gesichert. Doch klinische Studien an der Universität North Carolina haben gezeigt, dass das Risiko von Herz- und Kreislaufkrankheiten bei Parodontitis-Patienten doppelt bis sechsfach so hoch ist wie bei Menschen mit gesunden Zähnen. «Damit gefährdet Parodontitis Herz und Kreislauf stärker als bekannte Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder hohe Cholesterinwerte», führt Ulrich Saxer aus.

Den Beweis dafür lieferte Mark Herzberg von der Minnesota-Universität: Er spritzte Kaninchen Streptokokken-Bakterien in die Blutbahn. Die Mundhöhlebakterien bewirkten, dass das Blut schnell verklumpte und die Tiere Herzattacken erlitten. Bei anderen Bakterien beobachtete Herzberg diese Reaktion nicht.
Dieser Vorgang scheint beim Menschen ähnlich abzulaufen. «Wenn das Zahnfleisch stark entzündet ist, werden die Bakterien ins Blut geschwemmt und können dort Infektionen verursachen», erläutert Ulrich Saxer. «Im Tierversuch wurde festgestellt, dass sich solche Bakterien an den Wänden der Blutgefässe ablagern und mit der Zeit die Blutbahn ganz verstopfen. Dies führt unweigerlich zu einem Herzinfarkt oder einem Hirnschlag.»
Der Risikofaktor Parodontitis kann ausgeschaltet werden. Denn die Krankheit lässt sich mit einfachen Mitteln wirkungsvoll bekämpfen. «Bei der jährlichen zahnärztlichen Kontrolle und der regelmässigen Entfernung des Zahnsteins lässt sich Parodontitis gut erkennen», meint Ulrich Saxer. «Je früher die Erkrankung erfasst wird, desto einfacher ist sie zu behandeln.» Bei der Untersuchung tastet der Zahnarzt das Zahnfleisch mit einer Sonde ab und kann dabei feststellen, ob sich bereits Taschen gebildet haben. Sind solche vorhanden, werden die Bakterien in den Taschen mit einem Ultraschallgerät zerstört. Anschliessend wird der Zahnstein entfernt. Eine gründliche Zahnreinigung mit Zahnbürste und medizinischem Mundwasser sorgen nach der Behandlung dafür, dass sich keine neuen Bakterien festsetzen können. Diese Nachbehandlung ist unerlässlich, «denn das Zahnfleisch ist erst nach rund sechs Wochen ausgeheilt».

Manchmal hilft nur das Skalpell

Bei schweren Formen von Parodontitis ist die Prozedur aufwändiger. «In solchen Fällen muss der Zahnarzt einen chirurgischen Zugang schaffen, um die Bakterien am Taschengrund entfernen zu können.»
So weit muss es nicht kommen. «Mit der richtigen Zahnpflege kann jeder viel dazu beitragen, dass Parodontitis gar nicht erst entsteht», sagt Ulrich Saxer. Dazu gehört, dass die Zähne täglich mindestens zweimal mit der Zahnbürste gereinigt werden. Gründlich und schonend: «Wer seine Zähne mit zu viel Kraft putzt, schadet dem Zahnfleisch.» Zu starker Druck kann das Zahnfleisch verletzen und so zu Zahnfleischschwund führen. Vermeiden lässt sich dieses Problem mit Schallzahnbürsten. Sie arbeiten ohne Druck und verursachen deutlich weniger Verletzungen.
«Gereinigt werden müssen aber nicht nur die Zähne», mahnt Prophylaxe-Spezialist Saxer. «Auch in den Zahnzwischenräumen können sich die Bakterien einnisten. Diese sollten deshalb täglich mit Zahnseide oder Mikrobürsten gereinigt werden. Diese Massnahmen sind die Basis, damit Zähne und Zahnfleisch gesund bleiben.» Ein Leben lang.

@uelle Tamedia AG / Text: Thomas Wehrli

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