Warum müssen wir eigentlich atmen?

Leben heisst arbeiten. Das ist nicht nur eine philosophische Weisheit, sondern gewissermassen auch ein physikalisches Prinzip. Jeder Schritt, jeder Schwung unserer Arme, jeder noch so kleine Lidschlag ist nichts anderes als geleistete physikalische Arbeit. Wir wissen nur zu gut: Arbeit „verbraucht“ Energie. Und diese Energie muss dem Organismus ständig neu hinzugefügt werden. Der menschliche Körper verfügt über zwei grosse Systeme, die ständig für den nötigen „Energienachschub“ sorgen: Einerseits nehmen wir regelmässig Nährstoffe auf, die auf kompliziertem Wege grösstenteils in Traubenzucker verwandelt werden. Bei Bedarf verbrennen unsere Zellen diesen Traubenzucker. Und bei einer Verbrennung wird neben Kohlendioxid bekanntlich viel Energie frei. Diese Energie können unsere Muskeln in Arbeit umsetzen. Nur deshalb können wir uns überhaupt bewegen. Natürlich hat die biochemische Verbrennung nicht viel mit dem zu tun, was man im täglichen Leben unter einer Verbrennung versteht. Dennoch gibt es eine wichtige Gemeinsamkeit: In beiden Fällen ist Sauerstoff erforderlich. Ohne Sauerstoff keine Verbrennung, ohne Verbrennung keine Energie und ohne Energie kein Leben. Für die fortwährende Anlieferung von Sauerstoff ist das zweite wichtige Versorgungssystem unseres Organismus verantwortlich: Das Atmungs- oder „respiratorische“ System. Es ist ein wunderbar ausgeklügelter Mechanismus, der sich im Verlaufe vieler Millionen Jahre nahezu perfektioniert hat. Aus der Luft, die bekanntlich zu 78 Prozent aus Stickstoff, einem Prozent anderer Gase und nur zu 21 Prozent aus Sauerstoff besteht, filtert unser Atmungssystem den lebensnotwendigen Sauerstoff heraus. Das Herz – oft als zentrales Organ des Lebens angesehen – verteilt den Sauerstoff lediglich mit dem Blut im gesamten Körper. Es ist in diesem Sinne eigentlich nur „Dienstleister der Atmung“.

Hochleistungsapparat Atmungsorgan

Jedes mal wenn wir einatmen, strömt Luft durch die Nase oder den Mund vorbei am Kehlkopf über die Luftröhre und deren Verzweigungen – die „Bronchien“ – in die Lunge. Ohne sich dessen bewusst zu sein, atmet der Mensch etwa 10-15mal in der Minute ein und aus. Täglich strömen so bis zu 12.000 Liter Luft durch unsere Lungen. Damit ist das „leichte Element“ jene Substanz, die wir am meisten zu uns nehmen (wahrscheinlich leben wir also im sprichwörtlichen Sinne doch vor allem von der „Luft und der Liebe“). Es ist nur natürlich, dass unser Atmungssystem sich dieser enormen Anforderung gut angepasst hat. Die ersten Lebewesen waren Einzeller und atmeten sozusagen mit dem ganzen Körper. Erst später entwickelten niedere Organismen spezielle dafür vorgesehene Atmungsorgane. Insekten atmen beispielsweise durch Tracheen, ein Röhrensystem mit Öffnungen an der Körperoberfläche. Erst bei Lurchen, Vögeln und Säugern finden sich richtige „Luftlungen“. In vielen Fällen sind auch diese nur einfache Luftsäcke, die jedoch durch „Falten“ und „Ausbuchtungen“ schon eine relativ grosse Oberfläche aufweisen. Der Mensch verfügt über ein sehr komplexes Atmungsorgan. Es wird in die so genannten „oberen Atemwege“, zu denen man Mund, Nase und Rachen zählt und die „unteren Atemwege“, Luftröhre, Bronchien und Lunge unterteilt:

Atemwege

 

Der Weg der Luft

Obwohl es ziemlich nebensächlich erscheint, wie genau nun die Luft in die Lunge kommt, wollen wir uns doch die Mühe machen, ihren Weg nach zu vollziehen. Wir lernen dabei den Aufbau und die Funktion des Atemsystems in groben Zügen kennen.

Auf dem Weg zum Hals durchquert die Luft die Nase. Hier werden die meisten Staubpartikel herausgefiltert, die Luft wird erwärmt und angefeuchtet. Sie strömt weiter zu den „Polypen“ und „Rachenmandeln“, die Krankheitserreger, z.B. Bakterien unschädlich machen. Im Rachen selbst nimmt die Luft für einen kurzen Moment den gleichen Weg wie unsere Nahrung. Der Kehlkopf sorgt jedoch als eine Art Falltür dafür, dass die Speisen in die Speiseröhre gelangen, der Luftstrom jedoch in die Luftröhre gelenkt wird. Gelegentlich schliesst der Kehlkopfdeckel allerdings nicht ganz korrekt – etwas ist dann in die „falsche Kehle“ gekommen und wir müssen husten. Normalerweise ist es jedoch unmöglich, gleichzeitig zu atmen und zu schlucken (probieren Sie es trotzdem lieber nicht aus!). Der Luftstrom teilt sich am Ende der Luftröhre und strömt in zwei Hauptäste, die man als Stammbronchien bezeichnet. Letztere münden in die rechte bzw. linke Lungenhälfte* und gabeln sich dort weiter. Weil die rechte Lungenhälfte aus drei Teilen (so genannten Lungenlappen) besteht, die linke jedoch nur aus zwei, gibt es auch drei bzw. zwei Lappenbronchien, die sich zunehmend weiter verästeln und insgesamt wie ein umgedrehter Baum aussehen. Während die Luftröhre noch einen Durchmesser von etwa zwei Zentimetern hat, verjüngen sich die Bronchien immer mehr. Die grossen Stammbronchien werden von Knorpelspangen offen gehalten, die kleinen lediglich durch ihre eigene „Wandspannung“. Sie sind gerade noch mit blossem Auge sichtbar. Schaut man sich den Querschnitt durch einen Bronchus an, so erkennt man deutlich einen Ring aus kleinen Muskelzellen (Bronchialmuskulatur), die ein blutgefässhaltiges Bindegewebe umschliessen. Alle Bronchien sind innen mit einer Schleimhaut, der so genannten Bronchialschleimhaut, ausgekleidet. Auf ihrer Innenseite befinden sich kleine Flimmerhärchen, die eine besondere Schutzfunktion erfüllen: Der klebrige Schleim bindet restliche Staubpartikel und winzige Fremdkörper, die in die Lunge geraten sind. Die Flimmerhärchen der Bronchien schlagen ständig wellenförmige Bewegungen und sorgen dafür, dass der Schleim nach oben abtransportiert wird und die Lunge sauber bleibt. Der Schleim wird übrigens später aus der Nase geschnäuzt.

Bronchus

Trauben am Weinstock

Durch die kleinsten Bronchien gelangt die eingeatmete Luft schliesslich in die Lungenbläschen. Die Lunge enthält etwa 300 bis 400 Millionen dieser winzigen Gebilde, die unter dem Mikroskop wie „Trauben an einem Weinstock“ aussehen. Vergegenwärtigen wir uns, dass wir bereits tief im Inneren unseres Körpers angelangt sind, ohne seine „eigentliche Oberfläche“ bereits passiert zu haben! Tatsächlich sind die Lungenbläschen noch immer der Aussenluft ausgesetzt. Gleichzeitig stehen ihre hauchdünnen Wände, die nur aus einer einzigen Zellschicht bestehen, aber im engen Kontakt mit den feinsten Blutgefässen unseres Körpers, den Lungenkapillaren. Glücklicherweise können bestimmte Gase – so auch Sauerstoff und Kohlendioxid – diese dünnen Wände relativ problemlos durchqueren, so dass hier ein Gasaustausch möglich ist. Der Sauerstoff wandert von den Lungenbläschen in die Blutgefässe. Dort wird er von den roten Blutkörperchen aufgenommen und steht jeder Zelle des Organismus über die Blutbahn zur Verfügung.

Kapillargefäss

Obwohl wir die ganze Zeit so tun, als ob die Sauerstoffversorgung das einzige Ziel unserer Atmung sei, muss daran gedacht werden, dass auch die Ausatmung eines anderen Gases zur Atmung gehört. Aus den Lungenkapillaren wandert nämlich das gasförmige „Verbrennungsprodukt“ des Stoffwechsels, das Kohlendioxid, in die Lungenbläschen und wird von dort mit der Ausatmung abgeatmet. Insgesamt findet also ein Gasaustausch statt.

Der Motor der Atmung

Am rhythmischen Heben und Senken des Brustkorbes sieht man, dass der Mensch atmet. Die „Pumpe“, die diese Bewegung erzwingt, ist das Zwerchfell, das sich innerhalb des Brustkorbes auf- und abbewegt. Das Zwerchfell ist eine elastische Muskelplatte, die den Brustraum vom Bauchraum trennt. Im entspannten Zustand wölbt es sich weit nach oben in den Brustraum hinein. Es befindet sich dann etwa in einer Höhe von zwei Fingern unter den Brustwarzen. Ziehen sich die Zwerchfellmuskeln zusammen, flacht die Wölbung stark nach unten ab. Der Brustraum ist nun deutlich grösser. Die Lungen müssen den Bewegungen von Brustkorb und Zwerchfell folgen: Flacht das Zwerchfell ab, so dehnt sich die Lunge aus und Atemluft wird – gewissermassen per „Unterdruck“ – eingezogen. Erschlafft das Zwerchfell wieder, wird der verfügbare Raum für die Lunge kleiner. Sie wird zusammengedrückt und Atemluft kann – diesmal als „Überdruck“ – abgeatmet werden. Der Atmungsmotor Zwerchfell wird dabei von vielen anderen Muskeln unterstützt. Die Lunge selbst bleibt dabei im gewissen Sinne passiv.

Zum Glück laufen all diese komplizierten Mechanismen automatisch ab. Ohne dass wir uns bewusst darum kümmern müssen, steuert ein entwicklungsgeschichtlich sehr alter Teil unseres Zentralnervensystems den gesamten Atmungsvorgang. Das im verlängerten Rückenmark liegende Atmungszentrum verschafft uns im wahrsten Sinne des Wortes genügend „Luft“, um uns den angenehmen Seiten des Lebens zuwenden zu können.

Kampfplatz Lunge

Ganz so ohne Aufsicht können wir die Lunge jedoch nicht „sich selbst“ überlassen. Sie ist auf Grund ihres ständigen Kontaktes zur Aussenluft stärker den Angriffen vieler Keime ausgesetzt, als irgendein anderes Organ unseres Körpers. Fast jeder Mensch hat schon an Entzündungen durch Bakterien oder Viren gelitten. In unserer Februarausgabe werden wir die häufigsten Erkrankungen des Atmungssystems genauer vorstellen. Dabei wird das Asthma bronchiale eine besondere Rolle spielen. Auch das Asthma ist eine entzündliche Erkrankung, die mit einer Überempfindlichkeit der Bronchien einhergeht. Diese Entzündung entsteht jedoch nicht durch Bakterien oder Keime, sondern wird durch Allergene oder Reizstoffe ausgelöst.

* Um Irrtümer zu vermeiden, hat man sich angewöhnt, „links“ und „rechts“ so zu verstehen, als würde man über seine eigenen Organe reden. Demnach ist „links“ da, wo Ihr Herz ist

[@uelle Lunge Spezial]
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